Mehr als Finger und Füße

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Peter Planyavsky, Wiener Organist von internationalem Rang, im Gespräch über die neue Orgel im Goldenen Saal des Musikvereins, | den bescheidenen Stellenwert von Orgelmusik im allgemeinen Konzertbetrieb und die schwierige Lage der Kirchenmusik.

Am 26. März wird Kardinal Christoph Schönborn die neue Orgel im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins einweihen. Es ist das vierte Instrument in der Geschichte dieses Saales, wobei die ersten drei das Schicksal teilten, technisch zu verspielt zu sein. Welche Ansprüche man an das neue Instrument gelegt hat und welche Hoffnungen man damit verbindet, erläutert Peter Planyavsky, einer der Mitkonzeptoren des neuen Instruments.

Die Furche: Herr Professor Planyavsky, Sie waren Mitglied des Komitees für die Neugestaltung der neuen Musikvereinsorgel. Wer gehörte diesem Komitee noch an, was waren die Aufgaben?

Peter Planyavsky: Zum Komitee gehörte die große alte Dame der englischen Orgelwelt, Gilian Weir, Ludger Lohmann aus Stuttgart, Olivier Latry, einer der Titularorganisten von Notre-Dame, und von Wien noch Martin Haselböck. Das ergab ein schönes, breites Spektrum, denn die Orgel soll "international tauglich“ sein. Aufgabe war die klangliche Auslegung, speziell: Was muss diese Orgel besonders gut können? Wir kamen zum Ergebnis, es geht in erster Linie um Orgel mit Orchester - also die kleinen Rollen, wie in den Strauss-Tondichtungen "Also sprach Zarathustra“ und "Alpensymphonie“ oder in Tschaikowskys Manfred-Symphonie. Dann um die Orgel als konzertantes Instrument mit Orchester - ein Repertoire, das viel zu wenig gepflegt wird, um Orgel und Chor im Sinne einer großen Begleiterrolle; und als viertes um Orgel als solistisches Instrument für eigene Konzerte.

Die Furche: Die bisherige Musikvereinsorgel aus 1968 wurde von Karl Richter disponiert und hatte schon bald den Ruf, veraltet zu sein. Worin unterscheidet sich das neue Instrument?

Planyavsky: Man hatte damals gemeint, man müsse mehr Register haben als die Orgeln der übrigen Säle rundherum. Das ist gelungen, es gibt aber gewisse Grenzen, was man in ein Gehäuse hineinpressen kann. Hier war es zu viel. Es war eine eklektische Orgel mit möglichst vielen Registern aus allen Stilepochen, ohne stilistisches Profil. Die Orgel war insgesamt immer eingesperrt, etwas zu leise, hatte eine neobarocke Schlagseite. Für ein Instrument, das einem Orchester gegenübertritt oder mit ihm spielt, benötigt man Gravität und Breite - das hat die neue Orgel mehr, als es die alte hatte. Der wesentliche Unterschied aber ist, dass der Raum hinter dem Podium vernünftig ausgenützt ist für etwas, was wir "Orchesterwerk“ genannt haben. Hier hat man viele Register, mit denen man mit dem Orchester ein Crescendo machen kann.

Die Furche: Welchen Ansprüchen soll heute eine große Konzertorgel genügen?

Planyavsky: Das Grundprinzip ist immer dasselbe: Pfeifen, die einen Dauerton produzieren - das ist das Schöne an der Orgel, aber auch das, woran seit 250 Jahren gearbeitet wird. Daher gibt es Schwellwerke, damit es nicht beim Dauerton bleibt. Wir haben viel mehr Register als früher, das hängt mit der Technisierung der Orgel zusammen. In den 1950er-/60er-Jahren sagte man, besinnen wir uns auf das Alte, daher weniger Register. Inzwischen hat die Technologie Fortschritte gemacht. 80 Register sind heute ohne Klang- und "Ideologie“-Verlust zu bewältigen, die neue Musikvereinsorgel hat 85 Register. Sie hat oben eine mechanische Traktur, einen fahrbaren Spieltisch, ist unten elektrisch, aber das ist eine andere Elektrik als früher. Gebaut wurde sie von der Firma Rieger aus Vorarlberg.

Die Furche: Sie sind seit 1980 Professor für Orgel an der Wiener Musikuniversität. Wie attraktiv ist dieses Instrument, was sind heute Beweggründe, Orgel zu lernen?

Planyavsky: Es gab eine Zeit der Streicherserenade, eine Zeit des Streichquartetts, und jetzt haben wir ein Jahrhundert der Orgel hinter uns. Nicht, dass es keine Orgeln mehr geben wird, aber sie fallen nicht mehr so auf. Die Studentenzahlen nehmen europaweit ab, das hat auch mit der Kirchenkrise zu tun und damit, dass nicht alle dort arbeiten wollen. Orgeln stehen aber nun einmal in Kirchen. Wir haben gegenwärtig um die 60 Studenten, viele werden die Orgel in Kombination mit etwas anderem ausüben - wie Lehrer und Organist, Lehrer und Chorleiter. Mehr als 30 Leute können in Österreich von Kirchenmusik als alleinigem Standbein nicht leben. Das sind Organisten, die nicht nur Orgel spielen, sondern auch unterrichten oder als Orgelreferenten tätig sind. Trotz dieser Marktsituation studieren die Leute Kirchenmusik, weil es eine umfassende Basisausbildung ist, die später auch eine Karriere als Chorleiter, Sänger, Dirigent ermöglicht.

Die Furche: Was wünschen Sie sich von der neuen Musikvereinsorgel? Auch im Konzerthaus gibt es seit Jahren eine große Orgel, gestürmt werden Orgelkonzerte nicht, haben Sie dafür eine Erklärung?

Planyavsky: Man kann das politisch beantworten: Im Jahr 1975 war ganz Ostdeutschland kommunistisch, die Leute haben die Orgelkonzerte gestürmt, so konnten sie in die Kirche gehen, ohne dass es verdächtig war. Die Leute wollen gerne mit diesem Raum, mit dem Numinosen in Verbindung kommen. Sie kommen nach wie vor, aber es gibt diese Inflation, dass man via Bildschirm alles gezeigt bekommt. Das führt dazu, dass man nur mehr auf den Bildschirm schaut, auf die Finger oder die Füße des Organisten. Dazu kommt, dass eine gute Orgel heute nicht mehr so selten ist, wie vor 30 Jahren, wo man mitunter weit fahren musste. Als die Konzerthausorgel restauriert war, hat es einen neuen Schwung gegeben. Im Musikverein hoffe ich, dass das völlig unterrepräsentierte Orgel- und-Orchester-Repertoire hervorgeholt und gepflegt wird. Man hört immer wieder das Poulenc-Konzert, etwas Guilmant und Saint-Saëns, aber allein ab 1850 gibt es 500 Konzerte für Orgel und Orchester. Würde man davon wenigstens 30 in den nächsten Jahren spielen, wäre das ein großer Erfolg.

Die Furche: Rund um die neue Musikvereinsorgel gibt es eine Reihe von Konzerten, darunter auch eine Uraufführung von Ihnen am 16. Mai, "Kohelet“: Worum geht es hier?

Planyavsky: Orgel und Chor spielen die eine Hauptrolle, die andere ist die Figur des Kohelet. Sie wird gespalten in einen Bariton und einen Sprecher, eine etwas doppeldeutige Figur: ein Sucher und Frager. Beide suchen, sie sind sich uneins, wie es weitergeht, ein bisschen eine Faust-Figur. Das kleine Glück ist schließlich die Lösung. Die Orgel ist die Farbenlieferantin, auch Begleiterin.

Die Furche: Zuletzt haben Sie ein Buch über "Katholische Kirchenmusik. Praxis und liturgische Hintergründe“ geschrieben. Wie sehen Sie die Entwicklung der katholischen Kirchenmusik?

Planyavsky: Es ist weniger Geld da, aber es geht nicht immer um Geld, sondern auch um Überblick und Auswahl. Einen guten Liedplan für die Gottesdienste machen ist genau so teuer wie einen fehlerhaften machen. Weniger Geld bedeutet sicher weniger Stellen, weniger Musikbudget, es wird wieder mehr Ehrenamtlichkeit gefragt sein. Um die Qualität zu halten, braucht es aber weiterhin den qualifizierten, studierten Kirchenmusiker.

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