Mehr als „Geschwätz des Augenblicks“

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Die unheiligen Umtriebe aus der jüngeren Vergangenheit holten die katholische Kirche auch in der Heiligen Woche ein. Memoiren eines Alterzbischofs machten in den USA bereits 2009 Furore. Auch hierzulande lohnt sich eine Lektüre der Einblicke des Kirchenmannes.

Kaum je in der jüngeren Vergangenheit dürfte eine Heilige Woche für die katholische Kirche so von den unheiligen Umtrieben überschattet worden sein wie anno 2010. Mit durchaus unterschiedlichem Problembewusstsein.

Da fand der Wiener Kardinal Christoph Schönborn mit dem Buß- und Klagegottesdienst im Stephansdom globale Beachtung, gar die New York Times berichtete: „Vienna Cardinal – Church Must Accept Guilt on Abuse.“ Auch dass der Wiener Erzbischof erstmals in seiner Kathedrale mit den Kirchen-volks-Begehrern öffentlich auftrat, war ein Novum und sprach für sich.

Pater Hausprediger, Kardinaldekan

Im Vatikan dagegen setzte man auf entgegengesetzte Strategie und ortete einen Kampf der Medien gegen den Papst. Kapuzinerpater Raniero Cantalamessa, der päpstliche Hausprediger, bemühte – in Anwesenheit seines obersten irdischen Chefs – am Karfreitag im Petersdom einen Vergleich von Kirchenbefindlichkeit und Antisemitismus. Dem medialen Sturm der Entrüstung folgte die Distanzierung durch Vatikansprecher Lombardi und auch die Entschuldigung durch den Pater Hausprediger selber.

Am Ostersonntag setzte Kardinaldekan Angelo Sodano nach, indem er beim Ostergottesdienst Benedikt XVI. versicherte, das „Volk Gottes“ lasse sich nicht beeindrucken vom „Geschwätz des Augenblicks“. Und am Dienstag erklärte der emeritierte „Justizminister“ des Vatikan, Kardinal Julian Herranz der Zeitung La Repubblica, die internationalen Medien hätten den Papst nicht nur wegen pädophiler Priester im Visier, sondern auch wegen „der Verteidigung ethischer Werte, angefangen mit dem Nein zur Abtreibung“.

Am Ostermontag stellte die deutsche Wochenzeitung Die Zeit einige Dokumente ins Internet, die Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone in unvorteilhaftes Licht rücken. Bertone, lange Zeit als Sekretär der Glaubenskongregation die rechte Hand von Joseph Ratzinger, hatte 1996 den Fall des US-Geistlichen Lawrence Murphy auf dem Tisch, der bis zu 200 gehörlose Kinder missbraucht haben soll. Der zuständige Erzbischof Rembert Weakland von Milwaukee hatte vergeblich versucht, die Glaubenskongregation und deren Chef Joseph Ratzinger dazu zu bewegen, gegen Murphy ein Laisierungsverfahren einzuleiten, weil der Missbrauch durch ihn auch während der Beichte stattgefunden habe. Ratzinger antwortete nie persönlich auf die Schreiben von Weakland, Bertone hingegen ließ das Verfahren nicht zu. Nun steht also die Nummer zwei im Vatikan in der Kritik – zuvor hatte die New York Times Joseph Ratzinger selber die Vertuschung angelastet.

Der konkrete Fall wirft auch Licht auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung in der katholischen Kirche: Rembert Weakland, 1967–77 Abtprimas der Benediktiner in Rom und danach Erzbischof von Milwaukee, ist ein prononcierter Vertreter des konzilsbewegten US-Katholizismus. Er hatte als oberster Benediktiner in Rom seine liebe Not mit dem Beharrungsvermögen der Kurie und stand als Erzbischof im Dauerclinch mit Kardinal Ratzinger und der Glaubenskongregation, die seit den 80er-Jahren bemüht waren, gerade in den USA wieder „Ordnung“ zu machen. Dass Weakland mit seinen Vorstößen zur Klärung des inkriminierten Missbrauchsfalls in Rom kein Gehör fand, hat wohl auch mit dieser kirchlichen Konstellation zu tun.

Die Offenheit eines „Pilgers“

Der damalige Erzbischof von Milwaukee erfuhr aber seinerseits ein unrühmliches Ende seiner hierarchischen Karriere, nachdem ihn ein – erwachsener – Mann wegen homosexueller Kontakte erpresst hatte. Weakland trat daraufhin 2002 zurück und stand zu seinen Verfehlungen öffentlich in einem einzigartigen Zeichen – einem Bußgottesdienst in seiner Kathedrale.

Letztes Jahr veröffentlichte Weakland seine Memoiren „A Pilgrim in a Pilgrim Church“ („Ein Pilger in einer pilgernden Kirche“). Das Buch machte in den USA Furore und stellt ein wichtiges Dokument dar, welches auch zum Verständnis des Kirchenverhaltens in den Missbrauchs-Causen beiträgt. Margaret O’Brien Steinfels, Grande Dame des liberalen Katholizismus in den USA, schreibt im Vorwort, das Buch dürfte „in seiner Breite, Detailliertheit oder Offenheit von keinem anderen katholischen Prälaten“ erreicht werden.

Weakland, 83, schildert seinen Weg als Bub aus großer Armut in ein katholisches Kloster, dann die Karriere vom Kirchenmusiker zum Abt, Abtprimas in Rom und Erzbischof von Milwaukee. Eindrücklich stellt er dar, wie unreflektiert die Sexualität in der vorkonziliaren Ausbildung zum Mönch und Priester blieb, und dass es auch unter seinen Ausbildnern priesterliche Missbrauchstäter gab. Wie das Verschweigen von Sexualität und sexueller Orientierung auch einen Erzbischof straucheln lässt, erzählt Weakland plausibel, aber ohne Mitleid zu heischen.

Er stellt in den Memoiren aber auch sein eigenes Lernen als Bischof dar, was Missbrauch bedeutet und wie damit umzugehen ist. Der nun ans Tageslicht gekommene, von Weakland 1996 in Rom angezeigte Missbrauchsfall kommt im Buch nicht vor, wohl aber der Themenkomplex. Auch die Erkenntnis, dass Missbrauch nichts mit kirchenpolitischer Ausrichtung zu tun hat: „Vielleicht war es für mich die wichtigste Erkenntnis, dass diese Handlungen nichts mit der theologischen Position eines Priesters – sei sie liberal oder konservativ – zu tun hatte.“ Weakland stellt auch dar, wie schwierig dieser Lernprozess zum Thema Missbrauch war, und dass er als Erzbischof etwa keinen Draht zu einer Opfer-Organisation wie SNAP (Survivors Network for those Abused by Priests) fand. SNAP-Aktivisten waren vor Ostern auch in Wien, um hierzulande ebenfalls eine Dependance zu errichten.

Die Erinnerungen des Alterzbischofs geben einen selten offenen Einblick in kirchliche Mechanismen – und zwar beileibe nicht nur jenseits des Atlantiks. Zum konkreten Fall Murphy äußerte sich Weakland nur einmal: In einem BBC-Radio-Interview am 25. März schilderte er die Vorgangsweise der Glaubenskongregation, und dass er nicht glaube, dass Kardinal Ratzinger, an den sein Schreiben ja gerichtet war, persönlich in den Fall involviert war.

Orthodoxie für Los Angeles

Derweil hat eine Personalentscheidung Roms die US-Kirche erreicht: Am Dienstag nach Ostern wurde bekannt, dass Roger Mahony, Erzbischof der größten US-Diözese Los Angeles, ein Koadjutor beigegeben wird, der dem liberalen Kardinal 2011 nachfolgen soll. Auch Mahony ist wegen Missbrauchsvertuschung stark unter Druck, seine Erzdiözese musste schon 660 Millionen US-Dollar für Missbrauchsopfer flüssig machen. Mahonys Koadjutor-Nachfolger wird José Gomez, Bischof von San Antonio/Texas, gebürtiger Mexikaner – und Mitglied des Opus Dei. Rom setze also auf Glaubensstrenge, so die ersten Kommentare zu dieser Bestellung.

A Pilgrim in a Pilgrim Church

Memoirs of a Catholic Archbishop.

Rembert G. Weakland OSB.

William B. Eerdmans Publ. Co. 2009.

430 Seiten, geb.

€ 27,75

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