"Mehr als Minimalstaatlichkeit ist nicht drin!"

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Ulrich Schneckener von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat das Buch "Fragile Staatlichkeit" (Nomos Verlag, 2006) herausgebracht. Im FURCHE-Gespräch erklärt er, warum einige Staaten kippen und andere nicht und warum die Internationale Staatengemeinschaft zu oft mit zu großen Erwartungen an den Wiederaufbau gescheiterter Staaten herangeht.

Die Furche: Herr Schneckener, mit der Piraterie am Horn von Afrika ist auch das Hinterland und damit die Thematik gescheiterter Staaten ins Blickfeld geraten.

Ulrich Schneckener: Das passt insofern, als Somalia der Staat ist, bei dem Anfang der 1990er Jahre der Begriff "gescheiterter Staat" zum ersten Mal benutzt wurde. Das Phänomen ist älter, seit der Dekolonialisierung gibt es schwache Staaten - aber Somalia ist sicher ein Extremfall, von denen gibt es weltweit bloß ein halbes Dutzend, Afghanistan oder Kongo zum Beispiel.

Die Furche: Was zeichnet diese Staaten aus, oder besser gesagt, was fehlt ihnen zum Staat-Sein?

Schneckener: Das Gewaltmonopol existiert nicht. Die Regierung ist in keiner Weise in der Lage, das Staatsgebiet zu sichern und eine Reihe anderer Akteure regieren über Teile des Gebietes oder der Bevölkerung. Diese anderen Akteure unterminieren den Staat, fordern ihn heraus, während es dieser nicht schafft, die elementare Versorgung für Gesundheit, Bildung oder Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Zahl dieser Staaten liegt zwischen 40 und 60. Wobei viele davon über einen langen Zeitraum mit diesen Krisen kämpfen und trotzdem nicht kippen.

Die Furche: Wie gelingt es diesen Staaten, nicht völlig zu zerfallen und eine leidliche Stabilität aufrechtzuerhalten? Inwieweit spielt dabei auch die Unterstützung von außen eine Rolle?

Schneckener: Wichtige Faktoren, die in diesen Staaten noch eine stabilisierende Rolle ausüben, sind die Klientel- und Vetternwirtschaft, die Korruption und die auf Gewalt und Unterdrückung basierenden Machtansprüche. Diese Faktoren garantieren zwar eine gewisse Stabilität, sind aber nicht nachhaltig, führen zu keiner Verbesserung der Situation im Land und bringen darüber hinaus die Internationale Staatengemeinschaft in ein großes Dilemma.

Die Furche: In welches?

Schneckener: Der internationalen Gemeinschaft bleibt in diesen Staaten nichts anderes übrig, als bei den lokalen Strukturen anzusetzen. Das bedeutet aber auch, dass man sehr oft unangenehme Kompromisse machen und ungewollte Bündnisse eingehen muss. Dabei darf man nicht vergessen, die lokalen Machthaber vor Ort sind Experten im Fragilitätsmanagement, geschickt und geschult darin, neue Möglichkeiten und Koalitionen jederzeit für sich und ihre Interessen zu nutzen. Die Alternative dazu ist, sich massiv einzumischen und die lokalen Kräfteverhältnisse massiv zu stören - damit riskiert man aber auch das Abgleiten ins Chaos. Und an einem völligen Chaos hat niemand Interesse!

Die Furche: Siehe Irak, wo sich die USA auch eines Besseren haben belehren lassen. Mit welchen Erwartungen kann man dann überhaupt noch von Seiten der Staatengemeinschaft an einen zerfallen(d)en Staat herangehen?

Schneckener: Die Vorstellung, in diesen Ländern so etwas wie marktwirtschaftliche Demokratien durchsetzen zu können, ist völlig fehl am Platz. Davon sollte man sich so schnell wie möglich verabschieden. Stattdessen sollte man sich von vornherein darauf einstellen, auch mit zweit- und drittbesten Lösungen zufrieden sein zu müssen.

Die Furche: Wie schauen solche abgespeckten Lösungen aus?

Schneckener: Wenn es gelingt, eine Minimalstaatlichkeit herzustellen, ein gewisses Maß an Sicherheit und eine Basisversorgung zu gewährleisten, ist schon viel erreicht. Mehr, also eine Stunde Null einführen zu wollen, geht nicht.

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