Mehr kann man nicht wollen

Werbung
Werbung
Werbung

Die letzte Opernpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele, Leos Janáceks "Die Sache Makropulos“, wurde zu einem triumphalen Erfolg für alle Beteiligten. Voran für Regisseur Christoph Marthaler, Dirigent Esa-Pekka Salonen und die hinreißende Sängerdarstellerin der Hauptpartie Emilia Marty, Angela Denoke.

Von Musik habe er eine hohe Meinung, besonders von der Janáceks, ließ der für seine futuristischen Vorlieben bekannte Dichter Karel Capek den Komponisten wissen. Deshalb wollte er sich nicht vorstellen, dass sich dieser mit einem "sehr unpoetischen und zu geschwätzigen Konversationsstück, wie meine ‚Sache Makropulos‘ eines ist“, auseinander setzen könnte. Leos Janácek ließ sich indes von seinem einmal gefassten Plan, diesen Science-Fiction-Stoff zu vertonen, nicht abbringen und schuf damit eines seiner spannendsten Werke.

Parabel über die Unendlichkeit

Nicht von ungefähr erinnert der Stoff an Pirandello. Wie in dessen Theaterstück "Sechs Personen suchen einen Autor“ machen sich auch hier sechs Personen auf die Suche. Sie haben ein doppeltes Ziel im Visier. Denn drei junge Menschen - Krista, Gregor und Janek - und drei alte - Vítek, Kolenat´y und Prus - versuchen ihr Verhältnis zu der alles überragenden Titelfigur, der mittlerweile 337 alten, berühmten Sängerin Emilia Marty, zu definieren, aber auch jenen Geheimnissen, die sich hinter ihr verbergen, auf die Spur zu kommen.

Eingebettet hat ˇCapek diese vielfach mit Zynismus und Gefühlskälte kokettierende Parabel über die Fragen nach Unendlichkeit und Lebensqualität in einen sich über hundert Jahre ziehenden Erbschaftsprozess. Deren Protagonisten müssen bald erkennen, dass sie der durch ein Wundermittel scheinbar zum ewigen Leben verdammten Emily Marty auf sehr unterschiedliche Weise verbunden sind.

Regisseur Christoph Marthaler hat sich von seiner bevorzugten Bühnenbildnerin Anna Viebrock für diese Koproduktion mit der Polnischen Nationaloper ein Einheitsbühnenbild bauen lassen: einen vom Salzburger Gerichtsgebäude inspirierten weitläufigen Gerichtssaal, worin sich die drei Schauplätze - die Kanzlei des Prager Rechtsanwaltes Dr. Kolenat´y, die leere Bühne eines großen Theaters und ein Hotelzimmer - ideal suggerieren lassen. Zudem dokumentiert diese im Großen Festspielhaus gezeigte Inszenierung die spezifische Interaktion der handelnden Personen schon durch deren Kleidung. So etwa tritt der sich bereits als Prozessgewinner wähnende Jaroslav Prus mit dem gleichen Kamelhaarmantel auf wie Dr. Kolenat´y, sein verzweifelt das Verfahrensende abwartender Prozessgegner Albert Gregor mit einem sich dagegen ärmlich ausnehmenden Überzieher. Emilia Marty wiederum präsentiert sich - gleichermaßen die Dame wie die Künstlerin herausstreichend - in einem von Mondrian inspirierten schicken Kleid, später in einem klassischen Kostüm. Ebenfalls im Stil des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts, in dem - genau nach dem Original - Marthaler die diffizilen Handlungsfäden spielen lässt.

Freilich spezifisch einbegleitet: Ehe die Musik anhebt, zeigt er in einem Glaskasten linker Hand, wie sich eine ältere und eine junge Frau über Alter und Endlichkeit unterhalten. Ob sich dreihundert Jahre nicht doch realistisch ertragen ließen, wenn man jeweils fünfzig Jahre Zeit hätte für Kindheit und Ausbildung, jeweils hundert für das Erwachsensein und die Möglichkeit, das erworbene Wissen weiterzugeben? Das sei wohl nur für die tausend Besten gedacht, heißt es gleich einschränkend in diesem vom Zigarettenqualm umflorten, immer heftiger werdenden Gespräch, das auf die Wand projiziert wird, da es phonetisch nicht durchdringt.

Ein stimmungsvoll-nachdenklicher Prolog, der ideal in das folgende Geschehen einstimmt, in dem Marthaler neben einer exzellenten Personenführung immer wieder mit skurrilen Nebenhandlungen begeistert: wie dem Zivildienstleistenden (Peter Lobert), welcher die davor im Glaskasten sitzende ältere Dame (Silvia Fenz) wiederholt, begleitet von komischer Gestik, mit Blumen beschenkt, oder dem Gericht, das sich mehrfach mit homerischem Gelächter zur Beratung zurückzieht.

Dominiert wird diese Inszenierung von der überragenden Darstellerin der Emilia Marty, Angela Denoke. Nicht nur sängerisch ideal, schlüpft sie mit einer Selbstverständlichkeit und Prägnanz in die ihr zugeordneten Rollen, beweist gleichermaßen emotionale Distanz wie in den Szenen mit ihrem einstigen, mittlerweile dement gewordenen Liebhaber Hauk-ˇSendorf (nobel-elegant Ryland Davies) Leidenschaft.

Philharmonischer Klangteppich

Raymond Very als unschlüssiger Albert Gregor, Jurgita Adamonyte als seine liebreizende Tochter Krista, Johan Reuter als selbstsicherer Prus, Aleˇs Briscein als sein am Leben scheiternder Sohn Janek, Jochen Schmeckenbecher als das Verfahrensfinale herbei sehnender Kolenat´y, Peter Hoare als sein umtriebiger Gehilfe Vítek und Linda Ormiston als umwerfend komische Hausangestellte bildeten das auch gesanglich vorzügliche Ensemble, dem die bestens gelaunten Wiener Philharmoniker unter dem mehr auf klare Strukturen als auf Farbenvielfalt setzenden Esa-Pekka Salonen einen idealen Teppich legten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung