Mehr Soma für die Gesellschaft

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Aldous Huxley beschrieb in seinem Zukunftsroman "Schöne Neue Welt" eine hedonistische Gesellschaft, die Soma-Pillen schluckt, um schlechte Gedanken zu vertreiben. Was Huxley nicht wusste: Die Zukunft ist von Leistung geprägt. Passende Pillen gibt es trotzdem.

Glück und Erfolg gibt es heute auf Rezept. In Zwanziger-, Fünfziger-oder Hunderter-Packungen. Und viele greifen auch zu.

Laut Gerd Glaeske, Professor für Arzneimittelforschung an der Universität Bremen, haben die Deutschen im letzten Jahr mit rund 21 Millionen Schachteln Antidepressiva ihre trübe Stimmung aufgepeppt - und der Pharmaindustrie einen Umsatz von 520 Millionen Euro beschert.

Optimal eingestellt

Für Österreich dürften die Verkaufszahlen aufgrund der kleineren Einwohnerzahl rund zehnmal niedriger sein, also bei rund zwei Millionen Schachteln liegen (Offizielle Statistiken existieren nicht). Geht es nach den Experten, müssten noch weit mehr Pillen geschluckt werden. Denn: Die Diagnose wird hierzulande zu selten gestellt, wie Mediziner unlängst bei einer Presse-Konferenz betonten (APA, 28. 2. 2007). Demnach leiden 400.000 Österreicher an Depression, optimal behandelt werden lediglich 36.000. Siegfried Kasper, Psychiater an der Universität Wien, forderte deshalb: "Moderne Antidepressiva müssen von Anfang an verwendet werden." Zweifelsohne helfen die neueren Medikamente besser und zeigen weniger Nebenwirkungen. Für die Mediziner ist das Problem behoben, wenn der biochemische Haushalt wieder ins Lot gebracht wurde. Selbst die Betroffenen mögen sich wieder voll funktionstüchtig fühlen. Doch bleibt die Frage: Sind depressive Erkrankungen bloß die häufigste Ursache für Erwerbsunfähigkeit, oder nicht doch eher Symptom eines Erwerbslebens, dessen hohen Ansprüchen viele Menschen nicht mehr gewachsen sind?

Das Missbrauchspotenzial bei Prozac & Co ist übrigens gering, weil die Pillen dem Nicht-Depressiven keine Extraportion Glück versprechen. Bei Aufputschmitteln ist das anders. Laut einer US-Studie hat jeder fünfundzwanzigste College-Student im letzten Jahr rezeptpflichtige Amphetamine illegal konsumiert; an den kompetitiveren Schulen sogar jeder siebzehnte. (Quelle: Substance Abuse Treatment, Prevention and Policy 2006, I:15). Besonders beliebt ist dabei Ritalin, das sich positiv auf Selbstbewusstsein und Konzentration auswirkt.

Gehirndoping erlaubt

Für den deutschsprachigen Raum existieren keine Untersuchungen. Doch ein Blick in studentische Internetforen offenbart, dass das Thema auch hier beim einen oder andern auf Interesse stößt. Kein Wunder, exzessive Lernphasen durchleben Studenten überall auf der Welt. Das ganze nennt man dann internationalen Bildungswettbewerb.

Nicht aufmerksam genug

Allgemein bekannt geworden ist Ritalin als jene angeblich nebenwirkungsfreie Medizin, die vom Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (kurz: ADHS) befreit.

In den USA wird damit heute jedes zehnte Kind therapiert; in Österreich etwa jedes dreißigste. Sicherlich: Es gibt Zappelphilippe und das Medikament kann für Eltern, Lehrer und Kinder ein wahrer Segen sein. Jedoch hat die grassierende Verschreibungswut den Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer kürzlich in einem Interview zu folgendem Statement veranlasst: "Ich habe manchmal den Eindruck, es handelt sich eher um ein Phänomen eines gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsdefizits. Das heißt, wir haben verlernt unseren Kindern gegenüber ausreichend aufmerksam zu sein und genau hinzuschauen" (Standard, 1. 2. 2007).

Während die Experten in Sachen Ritalin sehr unterschiedliche Meinungen vertreten, kommen die Betroffenen selbst nur selten zu Wort. Maartge Schermer, Ethikerin und Medizinerin am Erasmus Medical Center der Universität Rotterdam, befragt zurzeit im Rahmen eines Forschungsprojekts mehrere ADHS-Erwachsene über ihr Leben mit der Hyperaktivität. "Einige sehen ADHS gar nicht als Krankheit, sondern als normale Charakter-Variation, als ein besonders aktives Verhalten", erklärt Schermer. Die meisten Befragten bestätigen, dass sie vor der Diagnose im Leben Probleme hatten. Sehr viele empfinden Ritalin deshalb als probates Mittel, das ihnen hilft, normal zu funktionieren. Gleichzeitig haben viele das Gefühl, dass sie durch das Medikament etwas verloren haben: Ihre Lebendigkeit und ihren Enthusiasmus. Ein Patient verzichtete sogar auf Ritalin, weil er meinte, nicht mehr er selbst zu sein. "Die Medizin bewegt sich in einem Graubereich: Vielen hilft Ritalin. Die Hilfe besteht jedoch in einer Anpassung an eine gesellschaftliche Norm", resümiert Schermer. Zum unscharfen Krankheitsbild passen die verschiedenen Behandlungskonzepte: In den USA nehmen mehr als eine Million Erwachsene Ritalin, während in Deutschland das Medikament nicht an Erwachsene verschrieben werden darf; Erwachsene mit ADHS gibt es dort nicht.

Hell und wach

Wie geschaffen für die Leistungsgesellschaft scheint auch Modafinil, mit dem sich tagelang wach arbeiten lässt. Ursprünglich wurde das Medikament für Narkolepsie, eine seltene Form von Tagesmüdigkeit, entwickelt. "Es ist ein tolles Präparat für Narkolepsie-Kranke und ganz ohne Nachteile für Herz und Kreislauf", betont Bernd Saletu, Schlafforscher an der Meduni Wien. Mittlerweile hat die Firma den Kundenkreis erweitert: Auf Schichtarbeiter und an Jetlag Leidende. Zumindest in Amerika soll der Stoff unter Managern und Vielarbeitern beliebt sein. Saletu schätzt den Missbrauch in Österreich gering ein. Die Abgabe sei streng kontrolliert. Und: "Kein Mensch nimmt hierzulande etwas Chemisches."

Wahrscheinlich sind die Europäer diesbezüglich tatsächlich anders als die Amerikaner. Da bald eine neue Generation an Gedächtnispillen auf den Markt kommt, wird man sehen, wer am Ende klüger ist.

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