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Als Folge des Prozesses übersehen Schiffe jetzt willentlich Flüchtlingsboote, klagt Jus-Professor Fulvio Vassallo Paleologo von der Universität Palermo.

Die Furche: Herr Professor, was interessiert den Wissenschafter an diesem Cap-Anamur-Prozess?

Fulvio Vassallo Paleologo: Mich interessiert die europäische Dimension dieses Falls, der sowohl für das Verhältnis Europas zu Nordafrika, als auch für die weitere EU-Flüchtlingspolitik eine zentrale Rolle spielt. Denn eines ist klar: Mit dem harten Vorgehen gegen Cap Anamur wollte der frühere italienische Innenminister Beppe Pisanu gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen Otto Schily den Präzedenzfall verhindern, dass humanitäre Verbände in Zukunft Flüchtlinge aus Seenot retten.

Die Furche: Und das ist gelungen?

Vassallo: Ja, mit der Kriminalisierung dieser Rettungsaktion haben sie ihr Ziel erreicht: Ich kann behaupten, dass es mehr Tote gibt, denn weder Fischkutter noch andere Schiffe nehmen noch Flüchtlinge an Bord. Viele Flüchtlinge haben mir berichtet, dass man sie auf offener See nicht sehen wollte. Das ist die eigentliche Tragödie: Viele Flüchtlinge verschwinden, ohne dass wir je davon erfahren.

Die Furche: Die EU-Grenzkontroll-Agentur Frontex ist gerade dabei ihre Überwachungen entlang der gesamten EU-Mittelmeergrenzen massiv auszubauen.

Vassallo: Aber was ist der Erfolg dieser Kontrollen? Dass mehr sterben? Da braucht es doch nicht die Menschenrechtskonvention, um anzuerkennen, dass ein Menschenleben oberste Priorität vor allen anderen Interessen hat. Gut, die Leute können aufgehalten, festgenommen und wieder abgeschoben werden - aber man darf sie doch nicht ersaufen lassen.

Die Furche: Angeklagt ist auch der Kapitän der Cap Anamur - hatte dieser nicht die Pflicht, Menschen in Seenot aufzunehmen?

Vassallo: Natürlich, und er musste sie nicht nur aufnehmen, er musste auch einen sicheren Hafen für diese Menschen finden. Und nur der Kapitän entscheidet, was ein sicherer Hafen ist.

Die Furche: Was haben Sie für ein Gefühl zum Prozessverlauf?

Vassallo: Ich habe Angst, denn dieser Prozess steht seit Beginn unter großem politischem Druck. Die Angeklagten waren schon verurteilt, als sie noch in internationalen Gewässern waren. Und mit diesem Prozess geht die Kriminalisierung der Rettungsaktion weiter; das heißt, diese Menschen, die eigentlich eine Rettungsaktion gemacht haben, bleiben unter dem Druck eines Strafprozesses - das ist ein Skandal!

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