Mein geliebter Bruder

Werbung
Werbung
Werbung

"Tabu - es ist die Seele ein Fremdes auf Erden …“: Fin de Siècle und Expressionismus im Kino. Ein Filmporträt über Georg und Grete Trakl als geschwisterliche Verstörung.

"Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Geistlich dämmert / Bläue über dem verhauenen Wald und es läutet / Lange eine dunkle Glocke im Dorf; friedlich Geleit. / Stille blüht die Myrthe über den weißen Lidern des Toten …: Kräftig sind die farbigen Pinselstriche, mit denen Georg Trakl seine Gedichte - Wort gewordene düstere Gemälde - malt. Obigem Zitat aus dem Gedicht "Frühling der Seele“, das aus dem letzten, postum erschienenen Lyrikband des früh verstorbenen Dichters stammt und dessen Dunkelheit den scheinbar lichten Titel zu konterkarieren scheint, ist auch der Filmtitel des außergewöhnlichen Biopics "Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden …“ entnommen, an dem sich der Münchner Regisseur Christoph Stark versucht hat.

Der Expressionismus, der in der Lyrik mit Trakl einen ersten Durchbruch markierte, war bekanntlich nichts für Zartbesaitete. Und kündete auch von zerstörten Seelen. Eine Verstörung, die in Trakls Gedichten bis in alle Ewigkeit aufgehoben scheint. Bekanntlich erwies sich dieser junge Mann, der dichtete, alsbald als vom Leben Gebrochener, ja Zerstörter: Drogensucht schon in jungen Jahren, auch und gerade während des Pharmaziestudiums 1910 in Wien, nach der katastrophalen Erfahrung gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs Tod des 27-Jährigen durch Drogen - ob Suizid oder nicht, bleibt historisch ungeklärt - schon im ersten Kriegsjahr.

Historisch frei, aber authentisch

Der Film fußt auf Georg Trakls Beziehung zu seiner um vier Jahre jüngeren Schwester Margarethe, die er auch in seinen Gedichten besingt und die sich ihrerseits drei Jahre nach seinem Tod das Leben nimmt. "Tabu“ imaginiert eine inzestiöse Liebe zwischen Bruder und Schwester, das ist historisch nicht verbürgt, aber der Film nimmt biografische Akkuratesse nicht für sich in Anspruch - oder doch auf einer Metaebene: Denn er zeichnet im Wissen um die lyrische Hinterlassenschaft von Georg Trakl das ungestüme wie dunkle Bild zweier Leben. Und das ist durch die Texte durch und durch gedeckt. Ob die historischen und biografischen Fakten nun im Detail stimmen oder nicht, mag eine andere Sache sein. Der Authentizität von "Tabu“ tut der freie Umgang mit der Geschichte aber keinen Abbruch. So ist auch die Ehe von Gretl Trakl mit ihrem Musiklehrer unhistorisch, aber sie erschließt sich hier im dramaturgischen Konzept des Drehbuchs.

Christoph Stark, der vor allem fürs Fernsehen ("Tatort“ etc.) tätige Regisseur, reüssiert hier zum zweiten Mal mit einer Film gewordenen Sexualfantasie. (2000 war er bereits mit "Julietta“, einer modernen Version von Kleists "Marquise von O.“ aufgefallen.) Und es gelingt ihm in "Tabu“ jedenfalls, etwas vom morbiden Lebensgefühl und der Selbstzerstörung einer Generation widerzugeben. Mit ganz anderen Stilmitteln war 2006 etwas Ähnliches in Bezug aufs Fin de Siècle dem chilenischen Regisseur Raúl Ruiz in seinem "Klimt“-Film mit John Malkovich in der Rolle des Protagonisten gelungen.

Peri Baumeister und Lars Eidinger

Auch die beiden Trakls werden in der Stark’schen Imagination letztendlich erst durch deren Darsteller lebendig, fassbar und glaubwürdig. Lars Eidinger, hierzulande spätestens als Birgit Minichmayrs Partner in "Alle anderen“ (2009) bekannt, legt den Georg Trakl auf den ersten Blick eher grobschlächtig an; doch die Besetzung und ihre Rollenausführung erschließt sich gerade durch die expressionistische Wucht, die einem Schauspieler wie Eidinger auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Den größten Eindruck hinterlässt jedoch Peri Baumeister, die für die Darstellung der Grete 2012 auch mit dem Nachwuchspreis beim Saarbrückener Max-Ophüls-Filmfestival ausgezeichnet wurde.

Der Schein der Fragilität

Wo Eidinger physisch wie psychisch berserkert, da weicht die blasse, hohlwangige Maid scheinbar zurück. Doch die vermutete Fragilität ist nur Schein. Denn die Grete Trakl von "Tabu“ ist die zähere Person. Mag sein, dass Georg die Schwester ins Metier des Rausches und in die Drogenabhängigkeit führt. Das allerdings könnte schon die (historisch belegte) Drogensucht der Mutter (eindrücklich in dieser Rolle: Petra Morzé) besorgt haben.

Doch es ist ja nicht zuletzt der Exzess, auch jener in der geschwisterlichen Beziehung, der aus dem Morphinisten Trakl den Dichter macht. Grete hat an dieser Literaturwerdung gehörig Anteil - erzählt der Film.

Selbstredend, dass "Tabu“ auch da aus dem Trakl-Gedicht "Blutschuld“ zitiert: "Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse. / Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld? / Noch bebend von verruchter Wollust Süße / Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!“

Auch wenn die Literaturwissenwissenschaft hier nicht gleich auf ausgelebten Inzest schließen will: Solche Zeilen zeigen dennoch, dass die Vorstellung, es handle sich um mehr als um platonische Geschwisterliebe, nicht an den Haaren herbeigezogen ist.

Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden …

D/A/LUX 2011. Regie: Christoph Stark. Mit Lars Eidinger, Peri Baumeister, Rainer Bock, Petra Morzé. Filmladen. 100 Min.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung