"Eines aber weiß ich: Dass wir auch künftig Vorbilder brauchen, dringend! Und dass genereller Argwohn nicht zur allgemeinen Befindlichkeit werden darf."
Atemlos hatten wir Buben damals, im Winter 1958, Toni Sailers WM-Siege in Bad Gastein miterlebt. Und waren neugierig, als bald danach sein erster Film anlief: "Der schwarze Blitz". Da aber kam meine große Stunde: Bange habe ich damals, eben 15-jährig, vor einem Kino auf Sailer gewartet. Hatte zuvor, mein Alter verschweigend, telefonisch um ein "Interview" gebeten -und zugesagt bekommen!
Unvergesslich, was dann geschah: Toni Sailer spielte meine Tollkühnheit mit; reagierte weder irritiert noch genervt - und ersparte mir peinliche Fragen wie: "Ist der Journalist, der kommt, dein Vater?" Er bestellte für mich Limonade -und hat mir spontan viel Zeit und ein spannendes Gespräch geschenkt. So spannend, dass mein "Interview", redaktionell bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet, in der größten deutschen Jugendzeitschrift erscheinen konnte. Es war mein erster Artikel, die erste Autorenzeile -und das erste Honorar, aus Hamburg überwiesen. Der Start in ein langes Journalistenleben.
Die Folge: Jahrelang habe ich damals jedes Bild von Sailer und jede Meldung über ihn ausgeschnitten und in Alben geklebt. Viel später, zu seinem sechzigsten Geburtstag, habe ich sie ihm zugeschickt -dankbar für seine kurze, aber wichtige Rolle auf meinem Berufsweg. Dankbar auch für seine herzliche Natürlichkeit.
Als Sailer 2009 begraben wurde, sagte ein Bischof: "Heute weint selbst der Himmel." Sein einst größter Ski-Rivale rief am Sarg: "Du warst das Licht -du bist das Licht!" Und wir spürten: Das war nicht nur "Friedhöflichkeit".
Und jetzt? Was tun mit all dem, was da eben auf uns einstürzt?
Weder Beweis noch Dementi
Da ist ein Dunkel um die Enthüllungen, für das es keine Laterne mehr gibt -weder Beweis noch Dementi. Da ist auch keine emotionelle Brücke mehr zu meiner schönen Erinnerung. Dafür aber einmal mehr die Erkenntnis, die ich schon oft -auch in der Politik -gehabt habe: wie schwer es ist, andere Menschen (vermutlich auch sich selbst) halbwegs richtig einzuschätzen -und wie gefährlich schnell wir das eigene Urteil absolut setzen.
Der "Fall Sailer" hat mir diese Schwäche überdeutlich gemacht. Habe ich doch -meinem Jugendidol zuliebe -zunächst alle Zweifel mobilisiert: Warum diese Enthüllung jetzt, nach 44 Jahren und vor dem "Kitzbühel-Wochenende"? Warum inmitten der "#Metoo"-Kampagne? Und: Wer will da Männer wie Sailer, Bruno Kreisky und Rudolf Kirchschläger, die sich nicht mehr wehren können, mit schwankenden Fakten anschwärzen?
Aber ist eine solche Reaktion erlaubt? Müsste ich nicht denken: Besser jetzt als nie -und am besten dann, wenn die Nachricht weithin gehört wird? In der Hoffnung auf Lernprozesse.
Sehr schwierig! Eines aber weiß ich: Dass wir auch künftig Vorbilder brauchen, dringend! Dass wir auch nie auf ein Grundvertrauen verzichten dürfen! Und dass genereller Argwohn nicht zur allgemeinen Befindlichkeit werden darf.
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