Menetekel von Christchurch

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Man soll nicht beginnen, die Toten gegeneinander aufzurechnen. Die 50 muslimischen Toten des Massakers von Christchurch durch einen weißen Suprematisten sind eine ebensolche Tragödie wie die tagtäglich im Krieg in Syrien Gemordeten oder die Opfer von Boko Haram in Nigeria. Und dann die Toten des Attentats von Utrecht, über die längst unter dem Label "islamistischer Terror" diskutiert wird, obwohl bei Redaktionsschluss der FURCHE nicht klar war, welches Motiv den Attentäter in der Straßenbahn umgetrieben hat.

Klar ist, dass religionspolitisch aufgeladene Konflikte, die Tote um Tote hervorbringen, globaler Alltag sind. Aber stimmt das "religionspolitisch" als darüberliegende Folie wirklich? Bei der Ermordung der Betenden in zwei neuseeländischen Moscheen geht es auf den ersten Blick vor allem um Abwehr einer Religion: Ein rechtsradikaler Rassist voller Verschwörungstheorien, der nicht einmal klar benennen will, ob er ein Christ sei, hat die Tat in einem "Manifest" gerechtfertigt. Aber insofern er stark von islamfeindlichen Motiven getrieben wurde, bleibt der Zusammenhang zu Religion evident.

Zurechtgemodeltes Christentum und

Der Innsbrucker katholische Sozialethiker Wolfgang Palaver hat in einem Standard-Kommentar darauf hingewiesen, dass die Weltsicht des Attentäters von Christchurch natürlich auf einem zurechtgemodelten Christentum fußt. Palaver weist auf die Nennung zweier vom Attentäter genannter Vorbilder: zum einen Donald Trump, dessen Christentum gewiss suprematistische Züge trägt. Noch klarer wird das beim zweiten Vorbild, dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik, der die Taten von Utøya 2011 explizit mit dem Verweis auf die christlichen Kreuzzüge untermauert hat.

Da jedoch das globale Christentum weiter für einen universalistischen und auch gewaltminimierenden Ansatz steht, taugt es auf den ersten Blick für eine suprematistische Ideologie und die daraus abgeleiteten Weltverschwörungstheorien wenig. Aber Versatzstücke -etwa aus der Apokalypse -bietet auch das Christentum leider genug.

... dschihadistische Weltbeherrschungsfantasien

Auf der muslimischen Seite scheint das klarer zu sein: Dass islamistischer Terror und dschihadistische Weltbeherrschungsfantasien mit Religion zu tun haben, konzedieren friedliebende und fromme Muslime längst -auch wenn die gewalttätigen Strömungen im Islam zurzeit mehr reüssieren als die Friedensbotschaft des Islam. Umgekehrt (vgl. Seite 6/7 dieser FURCHE) etablieren sich zunehmend islamkritische Positionen, die dieser Religion per se Gewalttätigkeit und Unreformierbarkeit unterstellen. Das Menetekel von Christchurch zeigt, wie sich die Gewaltspirale durch religiöse Aufladung weiter dreht. Die Terrorgefahr in der westlichen Welt wird dann wieder zunehmen usw. Oben angesprochene Berge von Toten, die durch auch religiös konnotierte Konflikte zu beklagen sind, schreien zum Himmel und verlangen erst recht nach dem Engagement der Religiösen der Welt. Wer, wenn nicht Christen oder Muslime guten Willens, sollte sonst imstande sein, wider die Logik der Feindschaft und die Pragmatik des Tötens aufzustehen?

Der gegenwärtige Papst macht im Übrigen genau das vor: Schon wieder reist Franziskus in ein islamisches Land - Marokko -, er wird dort Muslimen die Hand reichen und von den eigenen Hardlinern darob einmal mehr der Häresie geziehen werden. Wie im Gegenzug salafistische Hardliner jede muslimische Annäherung an Christen argwöhnisch zu hintertreiben suchen. Aber auch wenn es wider alle Wahrscheinlichkeit zu sein scheint: Es führt kein Weg daran vorbei.

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