Mensch als jämmerlicher Schimpanse

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Der Brite Will Self stellt in seinem neuen Roman "Die schöne Welt der Affen" die Evolutionstheorie auf den Kopf.

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Der Brite Will Self stellt in seinem neuen Roman "Die schöne Welt der Affen" die Evolutionstheorie auf den Kopf.

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Laust nicht genug, kopuliert nicht genug!" lautet die erste knappe Diagnose des Psychiaters, der mit dem Romanhelden Simon konfrontiert wird, der sich partout einbildet, ein Mensch zu sein. Es ist die Welt der Schimpansen, in der Simon Dykes, Avantgarde-Künstler in London, nach durchzechter Nacht und hochdosiertem Drogenkonsum erwacht. In Panik flieht er aus seinem Nest, als er die behaarten Beine seiner Gefährtin Sarah erblickt. Mit Hilfe eines unkonventionellen Psychiaters gelingt es ihm, abgesehen von einigen Rückfällen, seine Schimpansität nach und nach zu akzeptieren.

Bloß eines will ihm nicht in den Kopf: Wie konnte er je glauben, daß Menschen, die er im Zoo beobachtet, mit ihren linkischen Bewegungen und ausdruckslosen Blicken, von ihrer Unfähigkeit, durch Fingerzeigen zu kommunizieren, ganz abgesehen, die Krone der Schöpfung sein können?

Der britische Autor Will Self stellt in seinem originellen Roman "Die schöne Welt der Affen" nicht nur die Evolutionstheorie auf den Kopf, er entlarvt die Schimpansität des Kunst- und Kulturbetriebs ebenso wie die der Psychiatrie und der wissenschaftlichen Grabenkämpfe. Hat man sich an die anfangs obszön klingenden Phrasen wie "Ich verehre ihre Afterfalte" oder "Sie können mir den Arsch küssen" und das allgegenwärtige Kopulieren der Schimpansen in allen Lebenslagen gewöhnt, und somit den ersten Schritt hin zum Akzeptieren eigener schimpanslicher Identität gesetzt, liest sich der Roman köstlich und psychologisch höchst interessant.

Der "Schimpanse, der unter der Wahnvorstellung leidet, er sei ein Mensch" wird ein spannender Fall für die Wissenschaft und bietet dem Autor ein weites Feld an Beobachtungen über die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Schimpansen und Menschen, die ganz langsam und zwischen den Zeilen wächst. Immer weniger ist sich der Leser sicher, ob wirklich alle Reste echter Schimpansität von den Menschen überwunden wurden, oder nur jene, die man besser hätte behalten sollen. Ist der Verlust des Lausens ein echter Fortschritt? Oder was ist diese reduzierte Sexualität mit nur einer(m) "Alpha"? Ist sie wirklich ein Fortschritt? Und erst diese eingeschränkte Beweglichkeit auf den Hinterbeinen, der Verlust des Hangelns? Der Verlust genauer Hack- und Rangordnungen, wer soll sich da auskennen?

Unter der Oberfläche des spritzig erzählten Romans schwingt auch schmerzlich der Verlust all des Tierischen im Menschen mit, des Instinkts, der Arterhaltung, des Spieltriebs, des Sozialgefüges, der die Menschen in Überheblichkeit, Umweltzerstörung und Selbstzerstörung treibt. Der Schimpansen-Psychiater diagnostiziert bei seinem Patienten mit dem Menschenwahn: "Seine Außenwahrnehmung blieb ausschließlich auf die Vorwärtsrichtung beschränkt, so daß seine Sicht auf die Außenwelt der eines Autofahrers ohne Rück-und Seitenspiegel glich, der zusätzlich seinen Kopf nicht drehen konnte." Und sein berühmter Freund und Primaten-Experte benennt nach Demutsbezeugungen und wechselseitigem Lausen unter Kollegen das Dilemma: "Der Mensch hatte sich in seinem eigenen Kopf verirrt."

Prüde Leser wird der Roman empören, und zwar einfach deshalb, weil er viele Verhaltensweisen aufzeigt, die gesellschaftlich geächtet sind und trotzdem zum modernen Menschen-Alltag gehören. Es ist wahrscheinlich nicht ganz angenehm, mit "schimpanslichem" Verhalten so schonungslos konfrontiert zu werden. Doch dem enfant terrible der britischen Literaturszene ist da ein köstliches Buch geglückt.

DIE SCHÖNE WELT DER AFFEN Roman von Will Self Übersetzung: Klaus Berr Verlag Luchterhand, München 1998 440 Seiten, geb., öS 340,

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