„Menschenhandel bleibt ein großes Problem in der Ukraine“

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Botschafter Lubomir Kopaj, OSZE-Koordinator in der Ukraine, zur Wahlgesetzgebung und den größten sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen in der Ukraine.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat in ihrer Geschichte entscheidend zum Zusammenbruch des Ostblocks beigetragen. Jetzt engagiert sie sich bei der Stabilisierung der Region.

DIE FURCHE: Die OSZE hat dem ukrainischen Volk bei den Präsidentschaftswahlen vom 7. Februar ein gutes Zeugnis ausgestellt, aber gleichzeitig festgehalten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen der Wahl noch verbesserungswürdig seien. Was kann der Projekt-Koordinator der OSZE in der Ukraine tun, um diese Rahmenbedingungen zu verbessern?

Lubomir Kopaj: Die ukrainische Wahlgesetzgebung muss noch in vieler Hinsicht verbessert werden. Eine unserer Aufgaben hier vor Ort ist es, einen „Wahl-Code“ zu schaffen, der das ukrainische Wahlsystem vereinheitlichen soll. Unter Wahl-Code verstehen wir eine Abfassung von Gesetzen, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen plus Referenda regeln. Wir arbeiten mit einer Arbeitsgruppe im Parlament zusammen und konnten bereits einen ersten Entwurf dieses Wahl-Codes einreichen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Wahlen sind in jedem Land etwas anders, daher auch hier in der Ukraine.

DIE FURCHE: Ist die Ukraine überhaupt an einer konkreten Zusammenarbeit mit der OSZE auf diesem Gebiet interessiert?

Kopaj: Die Tatsache, dass eine gemeinsame Arbeitsgruppe im Parlament gebildet wurde, zeigt, dass die Ukraine daran interessiert ist, ein einheitliches Wahlsystem zu schaffen. Aber das gelingt nicht so schnell, und wir waren bis jetzt noch nicht sehr erfolgreich. Es wird noch immer debattiert, welches Wahlsystem sie überhaupt wollen. Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen wurden nach demselben Wahlrecht ausgerichtet, das noch während der ersten und zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen von 2004 in Kraft war. Im Jahre 2009 wurden zu diesem Wahlrecht noch ein paar Gesetzesänderungen hinzugefügt. Einige dieser Gesetzesänderungen wurden jedoch von OSZE/ODIHR (das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, Anm.) und von der Venedig-Kommission kritisiert. Im ersten vorläufigen Bericht über die Wahlen in der Ukraine beurteilt die OSZE/ODIHR diese Gesetzesänderungen sogar als einen „Schritt zurück“ im Gegensatz zum Gesetz von 2004.

DIE FURCHE: Neben Ihrem Engagement, eine bessere Wahlgesetzgebung in der Ukraine zu schaffen und den Demokratisierungsprozess des Landes voranzubringen, ist Ihr Büro in Kiew auch bemüht, spezielle Programme für die Lösung von sozialen Herausforderungen zu entwickeln. Um welche Probleme handelt es sich da?

Kopaj: Wir bekämpfen unter anderem aktiv das Problem der häuslichen Gewalt. Gerade vor Kurzem hatte ich die Gelegenheit, nach Dnipropetrowsk zu fahren, wo wir den Vertretern der Polizeiakademie ein spezielles Ausbildungsprogramm anbieten, das wir aus Österreich geliehen haben. Bei dieser Ausbildung lernt die Polizei, in konkreten Situationen richtig zu reagieren und die Opfer zu schützen, wenn sie auf einen Fall von häuslicher Gewalt stoßen. Im Allgemeinen bieten wir Ausbildungsprogramme nicht nur für Polizisten, sondern auch für Sozialarbeiter an.

DIE FURCHE: Bekämpft Ihr Büro auch das Problem des Menschenhandels?

Kopaj: Menschenhandel bleibt ein wirkliches Problem in diesem Land. Es betrifft nicht nur junge Frauen, die als Prostituierte arbeiten, sondern kommt immer mehr auch bei jungen Männern vor, die gezwungen werden, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Auch Kinder werden immer mehr zu Opfern von Menschenhändlern. Wir haben immer noch die Vorstellung, dass der Menschenhandel in Richtung Westen geht, aber inzwischen werden Menschen auch in den Osten, nach Russland oder bis nach Japan verschleppt. Sogar innerhalb der Ukraine existiert dieses Problem. Menschenhandel ist eine sehr komplexe Angelegenheit und muss mit komplexen Methoden bekämpft werden. Deshalb bemühen wir uns, in fünf Dimensionen zu arbeiten: im Bereich der Präventionsarbeit, der Strafverfolgung, wir leisten den Opfern Beistand, gewähren ihnen Schutz und arbeiten mit Partnerorganisationen zusammen.

DIE FURCHE: Bekommen Sie auch Unterstützung von anderen Institutionen, um gegen den Menschenhandel effektiv vorgehen zu können?

Kopaj: Wir arbeiten mit verschiedenen Partnern in diesem Bereich, nicht nur mit der Polizei, sondern bieten auch ein Präventionsprogramm für Angestellte der Konsularabteilung in den Botschaften und für Erzieher im Schulbereich an. Wir arbeiten aber auch mit den Opfern selbst zusammen und stehen ihnen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft bei, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Wir schauen, dass sie eine gute medizinische Behandlung bekommen und wieder einen Job finden.

DIE FURCHE: In Osteuropa gibt es immer mehr verwahrloste Waisen oder sogenannte Straßenkinder. Sehen Sie die Möglichkeit, auch hier tätig zu werden?

Kopaj: Waisenkinder sind am verletzbarsten in Bezug auf Menschenhandel. Daher legen wir viel Aufmerksamkeit auf die Arbeit mit Waisenkindern, vor allem im kritischen Moment, wenn sie die staatlichen Internate verlassen. Wir bieten den Erziehern und Kindern Programme an, um sie aufmerksam zu machen, dass sie in eine riskante Situation geraten können, wie zum Beispiel Menschenhandel. Wir bemühen uns, ihre Fähigkeiten und Fachkenntnisse zu fördern, damit sie in die Gesellschaft integriert werden und eine gute Ausbildung und Arbeit finden können.

DIE FURCHE: Arbeiten Sie dabei auch direkt mit den Kindern?

Kopaj: Die Philosophie der OSZE ist: Wir verfügen über Know-how, bilden gute Leute aus und arbeiten an besseren Gesetzgebungen, die es ermöglichen, unsere Aktivitäten in die Praxis umzusetzen. Wir haben nicht das Geld, um alle Waisen selbst auszubilden, aber wir glauben an das Prinzip der Nachhaltigkeit. Daher starten wir ein Projekt und bieten unser Know-how denen an, die wir ausbilden. Wir vermitteln ihnen die methodischen Unterlagen, die sie brauchen, um später andere Menschen selbst auszubilden.

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