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Leopold Rosenmayr kam als 18 Jahre alter Griechisch-Dolmetscher zur deutschen Wehrmacht. Ein Wissenschafter-Leben später wurde aus den Erlebnissen ein Buch der Erinnerungen.

Leopold Rosenmayr, emeritierter Soziologe und Alternsforscher, empfängt den Besucher in seiner Wohnung im fünften Bezirk Wiens. Anlass für das Gespräch ist sein neues Buch "Im Krieg auf dem Balkan - Erinnerungen eines Soldaten an den Zweiten Weltkrieg“ (s. u.). Inmitten der Bücher und der Sammlerstücke aus langen Forscherjahren in Afrika präsentiert er präzise, was sich ergibt, wenn man auf die Ereignisse und Erlebnisse junger Soldatenjahre ebenso zurückblickt wie auf die Gefühle, die sich damit bis heute verbinden.

Die Furche: Was hat dazu geführt, dass Sie Jahrzehnte nach dem Krieg, nach einem Reifungs- und Alterungsprozess dieses Buch schrieben? Sind die Kriegserlebnisse so stark, dass sie eruptiv immer wieder ins Bewusstsein aufsteigen?

Leopold Rosenmayr: In mir wogt und tobt so manches, was ich schreiben möchte. Ich fand, wenn ich es jetzt nicht mache, dann nie mehr. Ich bin 87 Jahre alt. Ich habe vieles, was ich erlebt habe, in mir getragen. Aber ich war nicht fähig, darüber zu sprechen oder zu schreiben.

Die Furche: Wegen der Grausamkeiten durch die Besatzer und jene der Partisanen, die Sie als Soldat und insbesondere als Dolmetscher sehen mussten?

Rosenmayr: Die Bastonade, die bei Folterungen angewendet wurde, um Geständnisse Gefangener zu erpressen, ist das Grässlichste, was Sie sich vorstellen können. Es ist mir als Dolmetscher gelungen, das einmal zu unterbrechen, schreiend und tobend. Die Leute haben gewusst, ich könnte das melden. Die Partisanen andererseits haben Soldaten gequält und deren Leichname geschändet. Dafür wurde dann wiederum Vergeltung geübt. Griechenland ist, vergessen Sie das nicht, von 1453 bis in die Zwanzigerjahre des 19. Jahrhunderts besetzt gewesen. Folterungen dieser Art waren Erbstücke dieser Zeit.

Die Furche: Bei den Protesten gegen den Währungs- und Sparkurs der EU wurden im Herbst in Athen historische Parallelen gezogen zwischen der deutschen Kanzlerin und der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg - verständlich oder eine Übertreibung?

Rosenmayr: Es ist verständlich. Ich habe grauenhafte Dinge erlebt, im kleinen Maßstab wie auch im Niederbrennen ganzer Dörfer. Es hing sehr viel von den Kommandeuren ab. Sadistische Offiziere sagten: Gestern sind zwei von uns erschossen worden, jetzt erschießen wir dafür zwanzig. Das ist den Griechen über die Erzählungen der Großeltern erhalten geblieben. Sie fühlen diese Feindschaft zutiefst als eine natürliche. Bis heute herauf. Ich werde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Exemplar des Buches senden. Es besteht die Pflicht, als Wiedergutmachung etwas zu tun.

Die Furche: Sie beschreiben in dem Buch auch Ihre Freundschaft zum jungen Griechen Kostas, einem festgenommenen Partisanen, der Sie zu Kriegsende auf abenteuerlichen Wegen bis nach Österreich begleitete. Sie erzählen von einem jungen Mädchen, das als Botin für die Partisanen tätig war. Wie kam es zu diesen Freundschaften über den Frontverlauf hinweg?

Rosenmayr: Die berührendste Geschichte ist eben jene der Partisanen-Kurierin Eleni, einer Tänzerin. Ich konnte sie davor bewahren, eingesperrt zu werden. Sie hat für wenige von uns einen Tanz, der Athene gewidmet ist, getanzt. An einer Stelle hat sie eine Kniebeuge gemacht, das hat mich ungeheuer erschüttert, wie sie dieses christliche Verehrungsmoment in den Tanz für Athene einbrachte. Sie hat mir die Möglichkeit zum Desertieren geboten, aber ich sagte ihr, Eleni, ich kann meine Leute nicht verlassen. Jetzt, nachdem ich dieses Buch geschrieben habe, ist mir aufgefallen, dass es zwischen den Fronten immer die Möglichkeit gab, Liebe und Freundschaften zu erfahren. In vielen Geschichten, die ich erzähle, kommt es immer wieder heraus, dass es auch Menschlichkeit inmitten von ärgster Grausamkeit gibt. Nur in ganz bestimmten Momenten nicht, wo der Hass und die Selbstverteidigung umschlagen in die Vernichtung des anderen.

Die Furche: Sie haben, wie andere auch, sich nach dem Krieg intensiv mit ihrer Berufslaufbahn befasst, sich mit Arbeit geradezu betäubt. War das die einzige Möglichkeit, mit dem Erlebten umzugehen?

Rosenmayr: Das war die einzige Möglichkeit. Ich habe immer wieder schreckliche Erinnerungen in mir empfunden.

Die Furche: Was hat denn die innere Blockade - die Sperre - gelöst?

Rosenmayr: Die Gespräche mit Elfi (Dr. Elfi Thiemer, frühere FURCHE-Redakteurin, Anm.) haben mir die Zunge und das Herz gelöst, um schreiben zu können. Schon in früheren Zeiten wurde es an mich herangetragen, schriftstellerisch tätig zu werden. Meine ersten Übersetzungen englischer Lyrik wurden in der FURCHE publiziert, worum mich Gründer Friedrich Funder gebeten hat. Elfi, die sehr viel über die Kriegszeit weiß, hat mich danach gefragt, was früher niemand gemacht hatte. Dann habe ich es gewagt, das niederzuschreiben.

Die Furche: Als ergebnisoffenes Verfahren?

Rosenmayr: Ich wusste nicht, was daraus werden würde. Wesentlich war für mich, dass eine Biografie in der Verpflichtung zur historischen Wahrheit steht. Und nach dieser habe ich wirklich getrachtet. Ich habe nichts hinzugefügt. Der große Eric Kandel hat mich sehr ermutigt. In seinem ersten Buch über das Gedächtnis (Auf der Suche nach dem Gedächtnis, Anm.) beschreibt er das Langzeitgedächtnis als Weg zur Wahrheit. Es kann sich nur behaupten, indem es sich immer wieder erneuert, als Gedächtnis. Jetzt, in seinem zweiten Buch dazu (Das Zeitalter der Erkenntnis, Anm.) greift Kandel auf Darwin zurück: Bei den Emotionen würden Annäherung und Entfernung immer im Streit liegen. Bei Kandel kann man zweierlei lernen: Eine Mischung von Gefühl und exaktem Gedächtnis ist zu bejahen. Ohne Gefühl kommen entscheidende Erkenntnisse nicht zustande. Er hat das aufgezeigt und sagt, der große Irrtum der Philosophie sei es gewesen, Gefühl und Vernunft zu trennen. Wir wissen heute, wie sehr das Gefühl die Vernunft zu orientieren vermag. Das lässt sich an neurologischen Untersuchungen überprüfen: Wenn eine kognitiv, rational anspruchsvolle Entscheidung zu treffen ist, dann müssen wir uns mit unseren Gefühlen auseinandersetzen.

Die Furche: Das gilt offenbar auch für das Erinnern. Sie deuten an, eine neue Art der Geschichtsschreibung zu versuchen.

Rosenmayr: Das Buch ist keine Autobiografie. Es ist der rückblickende Versuch einer Beobachtung. Und der Abrufung. Ich habe wirklich eine Abberufung aus dem Gedächtnis versucht. Die Erinnerung ist eine Umwandlung des Gedächtnisses, eine Zuführung des Menschen nach Innen.

Die Furche: Ihr Buch hat eigentlich drei Ebenen: Jene der Ereignisse und jene der intellektuellen Reflexion, dazu erzählt es die Geschichte, wie es zu diesem Buch kam.

Rosenmayr: So hat das noch niemand gesehen oder gesagt. Es ist so. Das Buch ist aus der Beziehung erwachsen.

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