Messe, Markt, Literatur und Menschen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Buch- und Medienbranche fand sich wie jedes Jahr zum großen Treffen in Frankfurt ein, den Literaturnobelpreis erhielt eine Autorin der kleinen Form.

Donnerstag, 10. Oktober, 12 Uhr, dichtes Getümmel in den Hallen der Frankfurter Buchmesse. Das Fachpublikum schiebt sich zwischen Veranstaltungen wie "Creating Best-Selling Interactive E-Books“, "E-Books Analytics: Tracking Your Success to the Bank“, "Self-Publishing - In wenigen Schritten zum eigenen Buch“ und "Der Autor als Verleger. Wer selber schreibt, kann auch verlegen?“

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels lädt zur Diskussion "Die Buchhandlung - Auslaufmodell mit großer Zukunft?“ Kathrin Passig, die ihre eigenen gedruckten Sachbücher sehr gut verkauft, stimmt auf dem Podium den Abgesang auf das Papierbuch an und verkündet, dass sie ihren Lesestoff fast ausschließlich über die amerikanische Online-Buchhandlung Amazon bezieht. Bedenken gegen ein derartiges Marktmonopol - unabhängig davon, ob es um eine Online- oder eine stationäre Buchhandlung geht - scheint die Autorin von Büchern wie "Lexikon des Unwissens“, "Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin“ und "Internet - Segen oder Fluch“ keine zu haben.

Auszeichnung für Short Story

Sei das Buch nun gedruckt oder E wie elektronisch - wo bleibt denn die Literatur? Sie spielt ihre Weisen sehr leise auf dieser Buchmesse, man muss sie geradezu suchen. Sachbücher und Prominente beherrschen neben Markt- und Technikfragen die Szene und erklären das Leben oder tun zumindest so, als ob sie es könnten.

Ich treffe einen Kollegen, ernüchtert wie ich auf der Suche nach Gesprächen über Literatur. Wir reden über den Nobelpreis für Literatur, der eine Stunde später verliehen werden wird und hier, auf der berühmten Buchmesse, kaum eine Rolle zu spielen scheint. Es wäre schön, wenn Alice Munro ihn erhielte, sind wir uns einig, denn mit ihr würde auch eine literarische Form ausgezeichnet, die viel zu wenig geschätzt wird: Die Short Story, die auf wenigen Seiten so viel zu erzählen weiß, brillant geformt, bestimmt genug, um auch unbestimmt genug zu bleiben, und ohne die Schwafelei so mancher Schmöker.

Eine Stunde später freut sich der Kollege wohl so wie ich. Und wie der Dörlemann-Verlag, der seit Jahren feine Bücher macht und Übersetzungen fördert. Munros Debütband "Dance of the Happy Shades“, 1968 erschienen und mit dem höchsten kanadischen Literaturpreis ausgezeichnet, dem Governor General’s Award for Fiction, erschien in diesem Verlag 2010 als "Tanz der seligen Geister“ in der Übersetzung von Heidi Zerning zum ersten Mal auf Deutsch. Auch Munros Erzählband "Something I’ve Been Meaning to Tell You“ (1974) folgte auf Deutsch: "Was ich dir schon immer sagen wollte“ (2012).

Später am Nachmittag komme ich beim gut besuchten Verlagsstand von S. Fischer vorbei. Dort geht inzwischen der allgemeine Rummel weiter, die meisten Besucher drehen dem Regal, in dem die Bücher von Munro stehen, den Rücken zu. Zwei kleine Schilder verweisen auf den großen Preis.

Die Frankfurter Buchmesse ist nun einmal ein Marktplatz. Aber der 82-jährigen Kanadierin Alice Munro, die 2009 schon mit dem Booker Preis, dem wichtigsten Literaturpreis im englischsprachigen Raum ausgezeichnet worden ist, hilft der Nobelpreis vielleicht auch langfristig zu mehr Präsenz auf dem deutschsprachigen Buchmarkt, zu mehr Leserinnen und Lesern. Rund 300.000 Exemplare von Munros Büchern hat der Verlag S. Fischer jedenfalls seit vergangenem Donnerstag bereits nachdrucken lassen. Und ihr jüngster Band "Dear Life“ soll nun schon zur Verleihung des Nobelpreises am 10. Dezember auf Deutsch erhältlich sein.

Dramatische Wendungen

Dass es Kurzgeschichten und Erzählungen so schwer haben, zuerst einen Verlag, dann Leserinnen und Leser zu finden, ist und bleibt erstaunlich. In Zeiten, da man klagt, nicht genug Zeit für die Lektüre von Literatur zu haben, müssten doch kurze Texte geradezu florieren. Ein paar Seiten Munro lesen vor dem Schlafengehen - und schon hat man eine Welt umrissen, Menschen und Schicksale vor Augen, dramatische Wendungen im Leben, Entscheidungen, Schwächen, aber auch unvermutete Stärken, kurz: das Leben, das dann auch mit dem eigenen Leben, eigenen Wendungen, dem eigenen Schicksal, eigenen Taten konfrontiert.

Damit eine kurze Erzählung funktioniert, muss die Autorin ihr Handwerk freilich beherrschen. Präzision ist gefragt, und wer nichts zu sagen hat, kann das in kurzer Form schwer verschleiern. An einem kleinen Tisch schrieb die "Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte“, als die sie das Nobelpreiskomitee bezeichnete, all die Jahre ihre feinen Texte. Das erzählte Hans Jürgen Balmes, Programmleiter für fremdsprachige Literatur im S. Fischer Verlag, in einem Interview und meinte, dieser kleine Tisch sollte eigentlich mit der Autorin nach Stockholm reisen.

Am 10. Juli 1931 wurde Alice Ann Laidlaw als Tochter eines Farmers und einer Lehrerin in der kanadischen Provinz Ontario geboren. Sie erhielt ein Stipendium und studierte Journalismus, doch es fehlte das Geld, sie brach das Studium ab. Sie heiratete, schenkte vier Töchtern das Leben, heiratete noch einmal. Und schrieb. Und schrieb. Und schrieb.

Im Unterschied zu manchen (männlichen) Kollegen scheint Munros Literatur vielleicht wenig spektakulär. Der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen hat in einem Essay über die Autorin bedauert, dass Munro außerhalb Kanadas so wenig gelesen werde, und Vermutungen angestellt, "warum ihr Bekanntheitsgrad in einem so eklatanten Missverhältnis zu ihren schriftstellerischen Qualitäten steht“: "Alice Munro gibt ihren Büchern keine wuchtigen Titel wie Kanadisches Idyll, Canadian Psycho, Ein kanadisches Wochenende, In Kanada oder Die Verschwörung gegen Kanada.“ Und: "Wenn Sie Alice Munro lesen, lernen Sie dabei nichts über Geschichte und Gesellschaft.“ Denn: "Alice Munros Thema sind Menschen. Menschen, Menschen und noch mal Menschen.“

Stille Reflexion

Manchmal, etwa in ihrem Band "Wozu wollen Sie das wissen?“ (2008), sind Munros Erzählungen nahe an der eigenen Familiengeschichte, nämlich jener der aus Schottland eingewanderten Laidlaws, und damit auch nahe am Ich: "Aber die Personen um dieses Ich herum nahmen ihr eigenes Leben, ihre eigene Gestalt an und taten Dinge, die sie in Wirklichkeit nicht getan hatten“, schreibt Munro im Vorwort. "Sie traten der Heilsarmee bei, sie gaben preis, dass sie einmal in Chicago gelebt hatten. Eine von ihnen landete auf dem elektrischen Stuhl, und eine andere feuerte in einem Stall voller Pferde ein Gewehr ab. Einige dieser Personen haben sich sogar so weit von ihren Anfängen entfernt, dass ich nicht mehr weiß, wer sie ursprünglich waren.

Dies sind Erzählungen“.

Franzen nennt in seinem Essay (veröffentlicht in "Weiter weg“, Rowohlt 2013) Munros Erzählungen "das Beste, ... was die zeitgenössische Literatur Nordamerikas zu bieten hat“: "Wenn ich Alice Munro lese, stellt sich jener Zustand stiller Reflexion ein, in dem ich über mein eigenes Leben nachdenke, über die Entscheidungen, die ich getroffen, über die Dinge, die ich getan oder unterlassen habe, darüber, was für ein Mensch ich bin, über meinen Tod. Sie gehört zu den wenigen Schriftstellern - manche von ihnen leben noch, die meisten sind tot -, an die ich denke, wenn ich sage, dass die Literatur meine Religion ist.“

Frankfurter Buchmesse

Insgesamt rund 7300 Aussteller aus über 100 Ländern waren von 9. bis 13. Oktober 2013 zu Gast in Frankfurt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung