Messerscharfe Beobachtungsgabe, feine Klinge

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"Zwischenfälle“ am Wiener Akademietheater: Andrea Breth inszeniert kurze Szenen der Autoren Cami, Courteline und Charms und filettiert abstruse, groteske Situationen.

"Vor dem Herzen kommt erst der Verstand.“ Ironisch eröffnet Andrea Breth ihre Revue "Zwischenfälle“, die der surrealen Logik des Traums folgt. Nicht klarer Verstand, sondern scheinbar purer Nonsens gibt hier den Antrieb für 52 Szenen, die sich in loser Abfolge aneinanderreihen und am Ende doch wieder einen roten Faden durchschimmern lassen. In der Alliteration des dreigestrichenen C hat Breth kurze Szenen der Autoren Cami, Courteline und Charms ausgewählt. Breth leistet hier u. a. die verdienstvolle Arbeit, kaum bekannte Texte zu verbreiten, die wohl auch aufgrund ihrer Miniaturenhaftigkeit bislang wenig Beachtung fanden.

Abgründe des Alltagslebens

Während die beiden Franzosen Henri Cami (1884-1958) und Georges Courteline (1858-1929) teilweise noch einem narrativen Witz folgen, sind Daniil Charms’ (1905-1942) höchst absurde Szenen vom Terror des russischen Stalinregimes geprägt. Auf einem Flur, der reichlich Andeutungsspielraum offenlässt (Ist es ein Hotel? Ein Amt? Ein Gefängnis? Ein Warteraum in der Oper? Ein Bahnhofsperron?) werden Gäste geschlagen, getreten, erschossen, stehen wieder auf, als wären sie direkt aus einem Comic. Der dumpfe Knall einer Pistole gehört ebenso in Breths Studie alogischer Situationen wie das Geräusch heftiger Einschläge. Und so spannt sie den Bogen vom beklemmenden Witz des Avantgarde-Dichters Charms, der 1942 in Leningrad verhungerte, bis hin zu schrägen Farcen der beiden französischen Humoristen.

Charms, der selbst immer wieder inhaftiert war und schließlich auch an den Folgen der Gefängnisaufenthalte starb, erzählt in seinen dramatischen Szenen von willkürlichen Verhaftungen, undurchsichtigen Beobachtungsmanövern und daraus resultierenden paranoiden Reaktionen. So schleicht sich etwa Andrea Clausen ängstlich an ein Stück Käse heran, der ihr schließlich gar nicht schmeckt. Bedrohung und befreiendes Lachen stehen bei Charms nah zusammen; Brutalität, Gewalt und die gleichzeitige Behauptung von Normalität ergeben hier jene Form von Schieflage, die Komik erzeugt. Eine seltsame Komik wohlgemerkt, die von Breths subtiler Regie genau auf jenem feinen Grat erwischt wird, an dem sie in die Tiefe geht und in die Abgründe des Alltagslebens blickt, wenn auch ganz ohne Schwere oder gar Traurigkeit.

Vor den Trümmern wird getanzt

Bei Courteline geht der Blick auch in Behördenfarcen, etwa wenn Roland Kochs Monsieur Badin in (herrliche) Bedrängnis gerät, als er seinem Vorgesetzten (Peter Simonischek) auf Schweizerdeutsch von den absurden Kündigungs-Ängsten des pragmatisierten Beamten berichtet, um letztendlich eine Gehaltserhöhung zu erreichen. Bei Cami wiederum gewinnen die Texte durch dessen eigene Theatererfahrung, etwa wenn sich Johanna Wokalek in "Hymen und Telefon“ als stumme Braut gegen den Eintritt ins Hochzeitsgemach wehrt und von Bräutigam Markus Mayer vergeblich umgarnt wird. Neben den Genannten hat Breth Corinna Kirchhoff, Gerrit Jansen, Hans-Michael Rehberg, Udo Samel und Elisabeth Orth versammelt . Martin Zehetgrubers Bühne ist in hellem Sperrholz gehalten. Hinter dem Flur hat er durchschossene Wände gebaut: die katastrophalen Ergebnisse der Verhältnisse, welche allerdings den Blick auf Dahinterliegendes öffnen. Vor den Trümmern aber wird getanzt und gesungen, vor allem Markus Mayer bestätigt seine gesangliche und tänzerische Vielseitigkeit.

Mit messerscharfer Beobachtungsgabe und der feinen Klinge ihrer Inszenierungskunst filetiert Breth abstruse, groteske, skurrile Situationen, schafft lange Pausen oder wortlose, zugleich höchst beredte Szenen. Und wenn nach der Vorstellung ein Zuseher "Marthaler ist besser“ ruft, dann weiß man, dass dessen Assoziation zwar stimmt, doch Marthaler sich ästhetisch eben völlig anders an die Absurditäten des Lebens herantastet.

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