Messners Schicksalsberg

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Joseph Vilsmaier hat Günther Messners Tod am Nanga Parbat zum Spielfilm verarbeitet. Reinhold Messner hat ihn beraten. Entstanden ist ein Brüderepos voll klassischer Motive: Bruderliebe, Anfeindung, Kampf, Sieg, Niederlage, Tod, die Rückkehr eines Bruders – und Versöhnung. Ein beinahe zu schöner Film über den Riss in Messners Leben.

Nur diese eine Geschichte interessiert ihn, hat Star-Regisseur Joseph Vilsmaier zu Star-Bergsteiger Reinhold Messner gesagt, als ihn dieser wegen einer Zusammenarbeit kontaktierte. Vilsmaier: „Mir war klar, wenn ich einen Film mit ihm machen würde, wäre es die Geschichte mit seinem Bruder Günther am Nanga Parbat.“

Absurd. Von den unzähligen Messner-Abenteuern in allen Fels-, Eis- und Sandwüsten dieser Erde soll nur die Geschichte vom Sterben des Bruders „richtigen“ Stoff für einen Vilsmaier-Film hergeben? Fünf Jahre nach der Kontaktaufnahme, sieben Millionen Euro Budget, 52 Drehtage und 100 Minuten Spielfilm später ist Vilsmaier bestätigt: „Nanga Parbat – Zwei Brüder. Ein Berg. Ihr Schicksal“ ist die Messner-Geschichte.

Darüber hinaus setzt Vilsmaier einen Wendepunkt in der Geschichte des Bergsteigens in Szene: Messners Tod und Messners Überleben am Nanga Parbat haben den Alpinismus grundlegend verändert; Messners haben 1970 am Nanga Parbat den Alpinstil zuerst selbst gewollt, dann von den Umständen aufgezwungen in den Himalaya (zurück)gebracht.

Die Tiroler Freikletterlegende Mathias Rebitsch hat das damals in der Tiroler Tageszeitung uneingeschränkt gewürdigt: „Reinhold und Günther Messner stiegen erstmals vom Gipfel eines Achttausenders – anschließend an die Begehung seiner schwierigsten Wand – auf der anderen Seite über eine 3500 Meter hohe, noch nie bezwungene Eis- und Felsflanke ab. In ein fremdes, menschenleeres Gletschertal. Auf sich allein gestellt, ohne dass sie unten von einer Lagerkette aufgenommen, von helfenden Freunden erwartet werden konnten. Eine Pioniertat, wie sie die Chronik des Himalaya nicht kennt!“

Nach der Pioniertat: Vorwurf Brudermord

Eine Pioniertat, die Günther Messner, von einer Lawine verschüttet, mit seinem Leben bezahlte und Reinhold Messner mit schweren Erfrierungen, physisch und psychisch gebrochen, nur knapp überlebte – und in Misskredit brachte: Für die erste Überschreitung eines Achttausenders habe er das Leben seines Bruders geopfert, lautete der Vorwurf. Im Film „Nanga Parbat“ ist er nur für jene Zuschauer präsent, die um diese Geschichte wissen. Zum Beispiel, wenn Vilsmaier den Pfarrer in Messners Südtiroler Heimatdorf über den biblischen Kain als „Hüter seines Bruders“ predigen lässt.

Brudermord – ein ungeheuerlicher Vorwurf. Nur eine Ausnahmeerscheinung wie Reinhold Messner hat man so angegriffen. Nur ihm traute man so etwas zu, weil man ihm alles zutraute. Jedem anderen Bergsteiger, der unter derartig widrigen Umständen (Nacht, Erschöpfung, kein Seil …) vom Nanga Parbat absteigen musste, hätte man die Abzweigung in die andere, anfangs leichtere Seite des Berges zugestanden. Nicht so Reinhold Messner. Bei ihm vermutete man einen von alpinem Ehrgeiz getriebenen Plan dahinter. Es half nichts, dass Messner stets beteuerte: „Es war ein Abstieg in die Verzweiflung, nicht ein Einstieg in eine große Wand.“ Trotzdem unterstellte man ihm nicht Not, sondern Kalkül, keinen vom Berg in dieser Situation auferlegten Zwang, sondern eine in Messners Kopf lang gehegte Idee.

Dass dem nicht so ist, dass der große den kleinen Bruder nicht ins Unheil führte, sondern zu retten versuchte, zeigt der Film mit einer Szene bei Günthers Trauerfeier: Mutter Messner greift dabei um Reinholds Hand. In einem vor 25 Jahren gedrehten Dokumentarfilm möchte Regisseur Werner Herzog von Messner über dessen Rückkehr vom Nanga Parbat ohne Bruder wissen: „Wie bist du deiner Mutter vors Angesicht getreten, wie war das?“ Stille. Dann schlägt Messner die Hände vorm Gesicht zusammen, schluchzt: „Meine Mutter hat es viel besser verstanden als alle anderen Menschen. Und trotzdem war es so schwierig.“

In seinem 1977 erschienenen Buch „Die großen Wände“ schreibt Messner: „Jedenfalls habe ich mir im Kreuzfeuer der Kritik des Öfteren gewünscht, zusammen mit Günther in der Diamirflanke verschüttet worden zu sein.“ Und zehn Jahre später erinnert er sich in seinem Resümee-Buch „Überlebt – Alle 14 Achttausender“ an den Moment, als er realisiert hatte, dass Günther unter der Lawine liegen musste: „Einen Tag und eine Nacht lang suchte ich nach ihm. Mitten in dieser gigantischen Gletscherwelt zwischen den Eistrümmern, ausgedörrt, mit Erfrierungen an Händen und Füßen, erlebte ich erstmals den Wahnsinn. Ich wusste nicht mehr, wer ich war und was ich tat …“ Die dazu passende Filmszene ist die stärkste im Streifen: Der in der Totale einer riesigen Eiswüste aufgenommene Messner wühlt wie ein Irrer in den Schneemassen …

Das Titelbild von Messners Buch „Überlebt“ zeigt ein Foto, das auch zum Ende des Films „Nanga Parbat“ den echten Reinhold Messner ins Bild rückt (kl. Bild rechts): Ein mit Selbstauslöser gemachtes Gipfelfoto von Messners Alleingang auf den Nanga Parbat.

Nur mit Steigeisen, Pickel, Zelt und Schlafsack ausgerüstet, startete Messner 1978 einen neuerlichen Gipfelgang im hintersten Diamirtal, an der Stelle, an der er acht Jahre zuvor verzweifelt und vergeblich auf seinen Bruder gewartet hatte. Allein.

Von der „Hölle“ zum „Himmel“ Nanga Parbat

„Ich genoss dieses Alleinsein, weil ich für niemanden verantwortlich war“, schreibt er und bilanziert nach dem Gipfelsieg: „Bei meiner ersten Expedition am Nanga Parbat hatte ich die ‚Hölle‘ erlebt. Bei meinem zweiten Aufstieg, im Alleingang, den ‚Himmel‘. Jetzt kannte ich den Himalaya.“

Was den Bergsteiger Reinhold Messner von allen anderen Bergsteigern seiner Generation unterscheidet, über sie hinaushebt, ist seine alpine Kreativität, sein Ideenreichtum in Fels und Eis, seine Fähigkeit, neue Wege zuerst zu denken und diese dann zu gehen. So hat er den 7. Schwierigkeitsgrad in den Kletterwänden der Alpen „erfunden“, so hat er das Himalaya-Bergsteigen revolutioniert. Der italienische Ausnahmebergsteiger Walter Bonatti hat dem jungen Messner sein letztes Bergbuch „Die großen Tage“ mit den Zeilen gewidmet: „Für Reinhold Messner, der jungen, letzten Hoffnung des großen, klassischen Bergsteigens.“

Das mag übertrieben klingen, natürlich lassen sich auch neben und nach Messner andere Namen großer und klassischer Bergsteigerinnen und Bergsteiger aufzählen. Und es gibt auch andere Bergdramen, die es wert waren und sind, verfilmt zu werden. Zum Beispiel Joe Simpsons im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliche, dennoch wahre Geschichte „Sturz ins Leere“.

Trotzdem: Auch für den Alpinismus war es ein Glücksfall, dass nicht beide Messners in der Diamirflanke geblieben sind. Und zum versöhnlichen Ende des Films „Nanga Parbat“ passt ein Zitat des heimgekehrten Messners aus seinem Buch „Die großen Wände“: „Mir genügt heute die Erinnerung an die gemeinsame Gipfelstunde mit Günther, um Empfindungen wachzurufen, die mir das ganze Unternehmen in einem abgeblendeten, friedvollen Licht zeigen.“

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