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Karl-Markus Gauss' Reisen zu Minderheiten.

Wenn Karl-Markus Gauß eine Reise tut, verschlägt es ihn auf eine Sprachinsel. Gauß betätigt sich als Forschungsreisender, sein Forschungsergebnis sind die viel gelobten Reisebücher, deren jüngstes ihn zu den Assyrern in Schweden, den Zimbern in Südtirol und den Karaimen in Litauen führt, begleitet von einem Fotografen, der allerlei Belanglosigkeiten dokumentiert. Dieses Unternehmen erinnert an die Reisen eines Ethnologen zu Völkern, die noch etwas "Urtümliches" an sich haben (Sprache, Bräuche), aber zugleich mit TV, Internet, Handys und allem leben, was "die Zivilisation" zu bieten hat.

Wie kommt man zu Identität?

Die christlichen Assyrer leiten ihre Herkunft von babylonischen Ahnen her und leben nunmehr über die ganze Welt verstreut, bestrebt, eine eigene Nation auszubilden. Die Zimbern bewahren bis heute Althochdeutsch als Umgangssprache, das sich in einigen abgelegenen Tälern Norditaliens erhalten hat. Wenn aber jemand wie die Karaimen weder über die Sprache noch über die Religion noch über die Nation eine Identität ausbildet, was macht dann seine Identität aus? Der Autor stellt diese Frage zwar, beantwortet sie aber nicht. Neben den vielen Informationen, die in journalistischer Prosa ausgebreitet werden, blitzen ab und zu Sätze erlesener Kostbarkeit auf: ",In Bain ist de milach 'un altan', sagte die eine, als sie uns zuprostete …: Der Wein ist die Milch der Alten." Ein zimbrisches Sprichwort.

Indem Karl-Markus Gauß sich Minoritäten zuwendet und deren Geschichte(n) erzählt, macht er etwas, das Literatur in ihrem Wesentlichen auszeichnet: einen anderen Blick auf das vermeintlich Bekannte werfen, es hinterfragen, aufrühren, verunsichern. So hält Gauß nicht zuletzt ein Plädoyer für ein neugieriges Leben und für das Gespräch. Seine Reisen zu den anderen Identitäten enden mit dem sympathischen Eingeständnis, "nicht allzu viel von der Welt zu begreifen, die zu erkunden ich mich aufgemacht hatte".

Die fröhlichen Untergeher von Roana

Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen.

Von Karl-Markus Gauß. Zsolnay 2009. 160 S., geb., e 18,40

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