Minimalistische Sprachgewalt

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Die zweite Schauspiel-Premiere bei den Salzburger Festspielen bescherte dem Publikum schwere Kost. Nicht nur gilt Schillers 1802 uraufgeführte romantische Tragödie "Die Jungfrau von Orleans“ um die historische Lichtgestalt der französischen Geschichte des frühen 15. Jahrhunderts als sein schwierigstes Stück, seine religiösen und philosophischen Motive sind komplex und nicht so ohneweiters jenseits des historischen Umbruchs, den die Französische Revolution für ganz Europa um 1800 bedeutete, zu verstehen. Auch Michael Thalheimers Regie macht die Vieldeutigkeiten nicht unbedingt leichter lesbar, inszeniert er sie in einer als minimalistisch zu bezeichnenden Weise als Theater der Sprache.

Poetische Wahrheit der Darstellung

Fast die ganzen 140 pausenlosen Minuten steht Johanna (Kathleen Morgeneyer) ganz in weiß, mit dem Schwert in der Hand, regungslos im Lichtkegel des Mondes, auf der sonst fast unbeleuchteten, leeren Bühne, die eine Art Himmelsgewölbe darstellt (Bühne: Olaf Altmann). Es ist ein Bild, wie man es aus zahlreichen Mariendarstellungen zu kennen meint. Aus dem Dunkel des Halbrunds hinter ihr treten die Mitstreiter und Widersacher an die jungfräuliche Kriegerin mit göttlichem Auftrag heran, ohne dass das Geschehen je in äußere Handlung übersetzt würde. Nur gerade die blutigen Schwerter und Kleider, die verschmutzten Gesichter geben Zeugnis vom Geschehen, das sonst rein sprachlich bleibt.

Wer bereit ist, sich den in Blankversen vorgetragenen Fragen um (weibliche) Selbst-Bestimmung, dem Widerstreit von persönlicher Neigung und göttlicher/politischer Pflicht, der Unterdrückung subjektiver Empfindungen oder dem Überwinden vermeintlich "ewiger“ Wahrheiten und Regeln etc. in Konzentration hinzuwenden, wird reich belohnt.

Ob Thalheimers Inszenierung im übertragenen Sinne das Hohe bedeutet oder nicht, mag dahingestellt bleiben, sicher ist jedenfalls, dass er weit jenseits des Lauten, Gefälligen, Marktkonformen inszeniert und erkennt, dass jede Zeit einem Stoff eine eigene Form auferlegt. So setzt der Regisseur mit dieser anspruchsvollen Produktion einerseits auf das, was Schiller die poetische Wahrheit der Darstellung nannte, und andererseits auf ein hermeneutisches Vermögen der Zuschauer. Er zielt auf die Herstellung eines ganzheitlichen Menschen im Schiller’schen Sinne. Und nach ihm sei es die "Dichtkunst beinahe allein, welche Kopf und Herz, Scharfsinn und Witz, Vernunft und Einbildungskraft in harmonischem Bunde beschäftigt“.

Die Jungfrau von Orleans

1., 2., 4., 5., 7. August

www.salzburgerfestspiele.at

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