Missionarische Stoffe

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Anmerkungen zu den jüngsten Wendungen im "Kopftuch-Streit".

Das Wort "Kopftuch" ist zur Chiffre für eine der tiefgreifendsten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den europäischen Ländern geworden, und es sieht nicht so aus, als würden die einschlägigen Debatten demnächst wieder von der Tagesordnung verschwinden. Es geht dabei zunächst um das Verhältnis zum Islam, aber im weiteren Sinn natürlich auch um das ganze Bündel an Fragen, die mit dem Begriff "Multikulturalität" verknüpft sind.

Besondere Bedeutung kommt hier der Diskussion über religiöse Symbole im öffentlichen Raum zu. Nun hat sich der deutsche Bundespräsident Johannes Rau zu Wort gemeldet und die Gleichbehandlung aller Religionen eingemahnt: Wenn, so Raus Position zusammengefasst, das Kopftuch als "missionarische Textilie" betrachtet werde, dann müsse das auch etwa für die Mönchskutte gelten.

Dieses Argument wurde in der Diskussion wiederholt ins Spiel gebracht - auch verschärft intoniert: wenn kein Kopftuch, dann auch kein Kreuz (z. B. im Klassenzimmer). Nun gibt es gute Gründe für den weltanschaulich neutralen, säkularen Staat, auf religiöse Symbole in öffentlichen Räumen (Schulen, Gerichte, ...) zu verzichten. Doch der grundsätzlichen Frage entkommt man damit nicht. Denn wie verhält es sich denn mit Gebäuden und Einrichtungen etwa der katholischen Kirche - als weithin sichtbaren Zeichen ihrer Präsenz? Ließe sich daran nicht ebenso oder mit noch mehr Berechtigung Anstoß nehmen, wie an einem Kruzifix im Klassenzimmer? Und wie sieht es mit am Körper getragenen Symbolen aus? Zurecht hat Rau ja hier die Parallele gezogen - denn das Pendant zum Kopftuch ist nicht das Kreuz an der Wand, sondern eher jenes an einer Halskette oder eben ein Ordensgewand. Ist dies alles gleichermaßen "missionarisch" und daher, je nach Standpunkt, abzulehnen oder aber zu tolerieren?

Zunächst wird man festhalten können, dass nicht alle Religionen, nicht jedes geistige und spirituelle Erbe für eine bestimmte Gesellschaft gleichermaßen prägend und daher in ihr in gleicher Weise beheimatet sind. Deswegen werden - ungeachtet der je persönlichen Überzeugung - Kirchenglocken und Mönchskutten bei uns jedenfalls anders empfunden als in islamischen oder buddhistischen Ländern und vice versa.

Zum anderen und vor allem aber gibt es ein Kriterium für die Beurteilung von Religionen, das man "Modernitätsverträglichkeit" nennen könnte und hinter das wir in Europa nicht zurück sollten. Gemeint ist die Kompatibilität einer bestimmten Religion mit Demokratie und Rechtsstaat, mit individuellen Freiheitsrechten, mit dem Prinzip der Selbstbestimmung, mit der Gleichstellung der Geschlechter etc.

Hier gibt es, mit aller Vorsicht gesagt, Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum: "Das Kopftuch ist heute ... ein höchst ambivalentes Zeichen", schrieb etwa kürzlich die des christlichen Fundamentalismus' oder religiöser Intoleranz unverdächtige Süddeutsche Zeitung. Wohingegen wohl niemand, und sei er noch so kirchenkritisch eingestellt, angesichts einer Franziskanzerkutte oder eines Benediktinerhabits sich an Kreuzzüge oder Inquisition erinnert fühlen wird, ja, dies auch nicht als Behauptung eines Geltungsanspruchs im Hinblick auf die Gesellschaftsordnung als Ganzes verstehen wird.

Dass das Christentum sich als so "modernitätsverträglich" erwiesen hat, kann man als Außenstehender zynisch kommentieren, besorgte Christen mögen es als Zeichen des Substanzverlusts, des Schalgewordenseins interpretieren (deswegen ja auch immer wieder neidisch-bewundernde Blicke bestimmter Kreise auf den Islam). Man kann aber den Grund auch darin sehen, dass die in der Aufklärung grundgelegte Moderne sich selbst ganz wesentlich aus jüdisch-christlicher Tradition speist.

Solcherlei festzuhalten, Differenzen zu benennen hat nichts mit Überlegenheitsdünkeln zu tun; sie aber zu verschweigen, wäre fahrlässig und trüge im übrigen zum wechselseitigen Verstehen nichts bei. Im Übrigen steht es Bundespräsidenten gut an, solche Kontroversen zu beleben. Theoretisch sollte das nicht nur von Schloss Bellevue, sondern auch von der Hofburg aus möglich sein...

rudolf.mitloehner@furche.at

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