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"Die Frau des Kanzlers" von Gustav Ernst beschwört Thomas Bernhard. Doch auch schimpfen will gelernt sein.

Wenn ein Buch "Die Frau des Kanzlers" heißt und nach vierzig Zeilen klar wird, dass der Kanzler musikalisch ist und verschiedene Instrumente spielt, wissen wir, hier wird der Leser nicht durch ein Labyrinth geführt. Hier hat der österreichische Autor Gustav Ernst vorsorglich eine Schneise geschlagen, damit ja keine Missverständnisse aufkommen, der Leser nicht abbiegen kann, nicht zur Seite schauen muss, nicht viel nachzudenken braucht: Ähnlichkeiten mit lebenden Objekten sind beabsichtigt.

Politik ist eine Sache und Literatur eine andere. Auf die Schneise von Ernst muss eine Tangente des Rezensenten folgen. Es ist nicht üblich und auch nicht notwendig, dass ein Rezensent bei einer Besprechung seinen politischen Standpunkt bekannt gibt, in diesem Fall sei dies erlaubt: Ich bin kein Freund der noch amtierenden Regierung und kein Freund des noch amtierenden Bundeskanzlers. Mich ärgert aber der Text. Die Literaturschneisen des Agitprop sind nicht meine Sache, gerade Wege mögen notwendig sein für eine Autobahn, für eine Landebahn eines Flughafens, aber in der Literatur ...

Ich habe den Ärger hinuntergeschluckt und weitergelesen: Ein Versuch, dem ersten Eindruck nicht auf den Leim zu gehen. Die Wut, die den Autor getrieben hat, kann ich noch nachvollziehen, doch Wut ist ein schlechter Lehrmeister.

Nach einigen Seiten gibt es trotz der Direktheit auch Zwischentöne. Politiker kommen im Zeitalter der inszenierten Begegnungen selten in Kontakt mit den Betroffenen ihrer Maßnahmen. Die Ehefrau wird hingegen beim Einkaufen "gestellt" und zur Ambulanzgebühr befragt. Im Lehrerzimmer muss sie Rede und Antwort stehen, warum ihr Mann nichts zu den Beschimpfungen des Lehrerstandes gesagt habe und warum er so lange geschwiegen habe zu den "Judenwitzen".

Ein realistisches Szenario, so realistisch wie die Beschreibung des Arbeitsalltages und der notwendigen Persönlichkeitsspaltung: "Nicht ein Mal habe ich betont, was für ein haushoher Unterschied besteht zwischen dem, was du im Anzug sagst, was du sagen mußt, und dem, was du im Pyjama sagst. Und daß du im Anzug sagst, was du sagen mußt, und im Pyjama, was du nicht sagen darfst."

Die Requisiten des Textes sind allseits bekannt. Der Kanzler spielt Klavier und Cello und Wanderlieder auf dem Akkordeon. Seit Koalitionsbeginn spielt er nur mehr Mozart und die Frau des Kanzlers stellt von Anfang an klar:

"Ich möchte mich von dir scheiden lassen. Du brauchst keine Anstalten zu machen, mich davon abzuhalten. Mein Entschluß steht fest. Er steht schon lange fest. Seit du die Regierungskoalition, die du nicht hättest eingehen dürfen, eingegangen bist. Das weißt du. Ich habe gesagt, wenn du diese Koalition eingehst, dann lasse ich mich scheiden."

Kunst darf alles, und wer die Dinge so beim Namen nennt, könnte auch Namen nennen. Wenn dies nicht geschieht, dann nur, um den Schein zu wahren, dass hier kein Leitartikel geschrieben wurde, sondern ein literarischer Text.

Die Schimpfliteratur hat ein neues aktuelles Beispiel. Es gibt keine Tabus mehr, alles ist erlaubt. Thomas Bernhard ist tot, es lebe Gustav Ernst. Doch so tot ist Bernhard auch wieder nicht, dass nicht jeder literarisch Interessierte merken muss, dass sich hier Welten auftun: Denn auch schimpfen will gelernt sein.

Nichts wird ausgelassen in dieser psychologischen Ferndiagnose, die sexuelle Verklemmtheit ebenso wenig wie die Probleme im Eheleben und die Realität eines Muttersöhnchens zum Beispiel:

"Dank deiner Mutter, die sich in den Kopf gesetzt hat, noch zu erleben, daß du vollständig der Abklatsch deiner damaligen Anzüge geworden bist. Ein einziges Desaster. Wenn auch verständlich, wo man doch schon ohne Mutter Mühe hat, später nicht ein Abklatsch dessen zu werden, wie man als Kind hatte sein sollen."

Natürlich entwickelt der Text einen Sog, natürlich weiß der Autor um die Bedeutung der Variation und des retardierenden Moments, doch die Plattheiten ärgern bis zum Schluss und werden nicht stimmiger, indem sie wiederholt werden. Diese "Rede" ist ein Text, der mit dem Skandal spekuliert, ein Text, der aber auch die Frage aufwirft, wie persönlich verletzend Literatur sein darf.

Dass keine Namen genannt werden, ist dabei eine halbherzige Entgegnung. Dass Menschen durch politische Maßnahmen sehr wohl auch persönlich verletzt werden, muss schon viel eher als Einwand gelten. Dass das Schweigen zu haarsträubenden Aussagen "des" Vizekanzlers zeigt, wie weit die "Ekelschwellen" der politischen Opportunität angepasst werden, wiegt schwer.

Aber dennoch: Politik als innerfamiliären Konflikt auszutragen, geht zu weit, vor allem dann, wenn der Eindruck entsteht, dass es als besonders mutig gilt, wenn der Frau des Kanzlers eine Charakterisierung in den Mund gelegt wird, die man ihr einfach nicht zutrauen würde. "Ja, du hast richtig gehört, Sch..regierung! Auch wenn mir ein solches Wort nie über die Lippen gekommen ist! Jetzt kommt es!"

Das ist ein bißchen pubertär vielleicht und passt eher in ein schlechtes Kabarett. Natürlich ist die Wirklichkeit oft noch viel banaler als jedes Kabarett und in der Tat nehmen Politiker oft Worte und Vergleiche in den Mund, die man wirklich nicht vermuten würde.

Doch muss die Literatur ein bloßes Abbild sein? Schneisen durch den Alltag gibt es genug. Abreagieren ist eine Sache, Denkanstöße eine andere. Gelegentlich muss wohl ein Autor Wut ablassen, um wieder atmen zu können, im Mief und Dunst der falschen Kompromisse. Ob damit auch Denkanstöße gegeben werden, das darf bezweifelt werden.

Der Ärger, der nach den ersten drei, vier Seiten die Bewertung des Textes bestimmt hat, ist am Ende auch nach einer bemühten Suche nach Gründen, warum dieser Text vielleicht so geschrieben hatte werden müssen, zurückgekehrt.

Eine Politik, die man für schlecht hält, muss nicht unbedingt mit schlechter Literatur kritisiert werden.

Die Frau des Kanzlers

Eine Rede von Gustav Ernst

Sonderzahl Verlag, Wien 2002

88 Seiten, geb., e 14,30

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