Mit Blick für Signale

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Olga Flor geht in ihren Werken gesellschaFtlichen Phänomenen in brillanten Zeitdiagnosen auf den Grund.

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Olga Flor geht in ihren Werken gesellschaFtlichen Phänomenen in brillanten Zeitdiagnosen auf den Grund.

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"Olga Flor erfindet sich mit jedem Roman neu", war einmal in einer Rezension zu lesen. Das Talent dazu hat sie auf jeden Fall. Zumindest beweist sie in ihrem nun schon ansehnlichen Werk, das mehrfach ausgezeichnet worden ist, dass sie einen Blick für die Signale unserer Zeit hat. Unbestritten gehört Flor, die auch Physikerin ist, mittlerweile zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellerinnen der Gegenwart.

Olga Flor ist modernen Lebenswelten und ihren Gegebenheiten, ja generell gesellschaftlichen Herausforderungen mit untrüglichem Instinkt auf der Spur. Daniela Strigl hat sie in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des ersten Veza-Canetti-Preises der Stadt Wien als Autorin gewürdigt, die sich Themen aussuche, "die ein gesellschaftliches Minenfeld eröffnen", und das nicht, ohne "die rücksichtslose Wahrheit" zu zeigen. Denn Flor leuchtet nicht nur wie in ihrem letzten Roman "Die Königin ist tot" die dunkelsten Winkel von Macht, Ökonomie und totalitären Mann-Frau-Beziehungen aus, sondern begibt sich auch mitten hinein in komplexe Sozialverhältnisse, die von den wirtschaftlichen Interessen einer erbarmungslosen Konsumgesellschaft infiltriert sind. Der 2008 für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman "Kollateralschaden" ist ein grandioses Beispiel dafür.

Ihre neue Prosa "Ich in Gelb" gestaltet Flor als experimentellen Blogroman, geflochten aus den Substraten unserer modernen digitalen Medienwelt. Ihr außergewöhnliches Textgespinst aus Blogs, Kommentaren, Verlinkungen und eingeschobenen, durch einen Rahmen hervorgehobenen Textstücken illustriert sie mit Bildern. Ganz so, wie unsere Zeit heute ist: bunt, schrill, vernetzt und selbstverständlich visualisiert.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Schülerin Alice, "die jüngste Bloggerin der Szene", die unter dem Namen "nextGirl" das Modebusiness kommentiert. Via Netz kommuniziert sie mit dem Model Bianca über die Härten einer scheinbaren Luxuswelt. Bianca verdeutlicht ganz offen, was Körperdesign in Shows tatsächlich heißt.

Permanente Zurschaustellung des eigenen Lebens

Um Webidentitäten gehe es hier, sagt Flor einmal lapidar über ihren neuen Roman. Dazu gehört die permanente Zurschaustellung des eigenen Lebens in Form ständig aktualisierter Berichte über diverse banale Tätigkeiten, etwa darüber, wo man sich gerade befindet und "Milchkaffee trinkt", weil "nur ein dokumentiertes Leben ein echtes ist". Während Öffentliches privatisiert zu werden scheint, muss Privates öffentlich werden. Die Gegenwart entblößt Flor als hybrides Fluidum, weil man sie nicht festschreiben kann:

"Aus geprüften, abgelagerten und vernetzten Bildern kann ich mir die Welt zusammenbauen ... Was nicht geht, das läuft immer schon voraus. Man hinkt hinterher, da helfen all die Updates nichts." Auch der Blog offenbart sich als Zutat zum "Festhalten von Momentaufnahmen einer äußeren Wirklichkeit" inmitten einer Welt von "STATUSMELDUNGEN" angesichts eines riesigen "Ereignismeeres". Bleibt die Frage, ob das alles "das Leben irgendwie wirklicher macht, wirklicher als wirklich, reell real".

Parasit wächst im Körper heran

Zudem geht es um eine Welt, die hinter der realen Öffentlichkeit steht und sich dadurch als Scheinwelt entlarvt. Die Rede ist von der Welt Biancas, die als Model sehr schnell den Aufstieg nach oben schafft, dann aber -es kommen ja schnell jüngere Models nach -an Aufmerksamkeit verliert. An Ausstieg ist trotzdem nicht zu denken. Um die "Karriere wieder in Schwung zu bringen", ist Bianca daher plötzlich "auf den Wurm gekommen". Eine Besiedelung "mit Parasiten" mündet in ihre Mutation zum "Menschtierhybrid". Sie merkt bald, dass sie das Folgende nicht mehr selbst in der Hand hat: "Das Regelwerk wächst in dich hinein, und du ordnest dich allem unter, was so von dir verlangt wird." Trotz Drive in der Karriere nach "drei Wochen Wurmeiern auf nüchternen Magen" registriert sie das Heranwachsen eines Parasiten in ihrem Körper, der ihr Leben fortan bestimmt und bei einer Lifeshow im Naturhistorischen Museum am Schluss für ein furioses Finale sorgt.

Flor verknüpft die Identitätsfrage, die sich in der Social-Media-Welt jeden Tag aufs Neue stellt, mit der Präsentation des Ichs nach außen, die im Prinzip eng an diverse Modedogmen gekoppelt ist. "Wer bin ich und wie zeige ich das der Welt? Wie gestalte ich mein Image?" Immerhin wird bereits mit der "Wahl des Outfits ... die Gestaltung der Außenwirkung" beeinflusst. Bloggerin Alice lässt diese Frage in eine Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbildern münden: "Warum will ich, dass die anderen das auch erfahren? ... Wie bringe ich die anderen dazu, das in mir zu sehen, von dem ich will, dass sie es in mir sehen?"

Das Format eines Blogs ermöglicht Polyperspektivität und textstrukturelle Innovationen, die es braucht, um die schrillen Gesichter des multidimensionalen Lebens herauszuarbeiten, das auf seine ständige Neuerfindung zurückgeworfen wird. Souverän reichert Flor dieses Crossover an aktuellen Themen, das von medialer Manipulation über Macht der Bilder bis hin zu Identitätsbrüchen im Alltag reicht, mit einem feinsinnigen philosophischen Unterfutter an. Da wäre nun wieder das "gesellschaftliche Minenfeld". Flors kritischer Blick wächst sich dabei zu einer brillanten Zeitdiagnose samt äußerst irritierenden Facetten des Soziallebens aus.

Ich in Gelb

Roman von Olga Flor

Jung und Jung 2015

240 S., geb., € 22,-

Die Königin ist tot

Roman von Olga Flor

Zsolnay 2012

221 S., geb., € 19,50

Kollateralschaden

Roman von Olga Flor

Zsolnay 2008

206 S., geb., € 18,40

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