"Mit den USA auf Augenhöhe"

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Die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner im Furche-Gespräch: Sie verteidigt das Insistieren auf einem stimmberechtigten EU-Kommissar für jedes Mitgliedsland, will - wenn schon - einen möglichst machtlosen Ratspräsidenten, zeigt sich in der Türkei-Frage abwartend und hinsichtlich der transatlantischen Beziehungen vorsichtig optimistisch.

Die Furche: Österreich ist wieder wer in Europa, in der EU: So hieß es in jüngster Zeit mehrfach in Bezug auf unsere Vorreiterrolle bei der Kritik am Verfassungsentwurf des EU-Konvents. Was hat es damit Ihrer Meinung nach auf sich?

Benita Ferrero-Waldner: Erstens glaube ich, dass wir "vorher" wer waren und auch heute selbstverständlich wer sind. Österreichs Stimme wird in der Union sicher geschätzt. Schon vor zwei Jahren habe ich gesagt, dass es wichtig ist, mit Nachbarländern, die ähnliche Interessen haben, ganz besonders eng zusammenzuarbeiten. Diese besondere Zusammenarbeit nannte ich "Regionale Partnerschaft". Das hat sich nun in der Frage der EU-Reform sehr bewährt, weil hier natürliche Interessen, die einfach da sind, gebündelt werden konnten. Dabei geht es vor allem um den Kommissar, darum, dass es einen Kommissar pro Land mit Stimmrecht gibt. Wieso? Die Kommission war und ist der unabhängige Motor der Europäischen Union, der Erfolg der EU ist in großem Maße der Kommission zu verdanken. Nun muss zwar in der Kommission europäisch, nicht national gedacht werden; aber gleichzeitig ist es sehr, sehr wichtig, dass sich jeder Staat in dieser Kommission voll repräsentiert fühlt. Das ist eine Frage der Legitimität und der Kollegialität - letztere wäre aufgehoben, wenn einige Kommissare kein Stimmrecht hätten und damit solche zweiter Klasse wären.

Die Furche: Befördert diese österreichische Position nicht das Missverständnis, dass der Kommissar "unser Mann in Brüssel" ist - während er ja in Wahrheit dort europäische, nicht österreichische Interessen wahrnehmen soll?

Ferrero-Waldner: Man muss das nur richtig erklären: Die Realität ist, dass sehr viel informell passiert - und da kann natürlich jeder Kommissar auch die Denkweise seines Landes in die Meinungsbildung des Kollegiums mit einbringen. Aber selbstverständlich muss die Meinungsbildung trotzdem eine europäische sein. Kommissar Franz Fischler ist da ein sehr gutes Beispiel: Er hat in Österreich immer sehr klar eine europäische Meinung vertreten; aber er hat in Brüssel sehr oft österreichisches Gedankengut einfließen lassen, etwa in der Frage der Ökologisierung der Landwirtschaft.

Die Furche: Wäre nicht mindestens so wichtig wie das Insistieren auf dem eigenen Kommissar, sich gegen die im Konventsentwurf vorgesehene Aufwertung des Rates zur Wehr zu setzen? Der Vorschlag eines gewählten, über mehrere Jahre amtierenden Ratspräsidenten bedeutet ja eine Stärkung der Nationalstaaten gegenüber der Kommission.

Ferrero-Waldner: Sie haben völlig recht - und wir wehren uns ja auch dagegen. Wir haben gesagt, wir sehen noch immer nicht den Mehrwert eines solchen Präsidenten des Rates. Wir glauben, dass das System der halbjährlichen Rotation des Vorsitzes keine schlechte Sache ist. Gleichzeitig sehen wir aber, dass sich für den Präsidenten eine Mehrheit abzeichnet. Da sagen wir dann, wenn das schon so kommt, dann können wir es nur akzeptieren, wenn dieser Präsident sehr eingeschränkt ist in seinen Funktionen, wenn er eher ein Vorsitzender ist im Sinne dessen, dass er die Sitzungen des Rates vorbereitet und koordiniert - aber sicher nicht ein Präsident wie etwa das französische Staatsoberhaupt.

Die Furche: Eine auch die kulturell-philosophische Dimension der EU betreffende Frage ist die nach einer möglichen Mitgliedschaft der Türkei. Gibt es - von den praktischen Fragen der Ökonomie, des Rechtsbestands abgesehen - aus Ihrer Sicht prinzipielle Gründe, die einem Beitritt der Türkei zur EU entgegenstehen?

Ferrero-Waldner: Schauen wir uns die Fakten an: Die Türkei hat den Kandidatenstatus. Ende nächsten Jahres soll die Frage geklärt werden, ob wir mit der Türkei Verhandlungen aufnehmen können oder nicht. Das wird davon abhängen, wie der Stand bei den Reformen ist. Gesetzmäßig ist relativ viel passiert, man muss sich aber die Umsetzung genau anschauen. Einen kulturellen Vorbehalt seitens Österreich gibt es nicht, aber wir müssen uns sehr genau ansehen, wie es um die Reformwilligkeit der Türkei bestellt ist.

Die Furche: Die außenpolitischen Debatten der letzten Zeit sind von der Frage der transatlantischen Beziehungen dominiert. Nun scheint so etwas wie Normalisierung im Verhältnis zwischen den USA und den europäischen Verbündeten einzukehren. Geschieht das, pragmatisch, aus Einsicht in die Notwendigkeit, dass man miteinander "muss" - oder hat man inzwischen einander besser verstehen gelernt?

Ferrero-Waldner: Es gibt gemeinsame Werte - Demokratie, Menschenrechte; und es gibt gemeinsame Interessen - sehen Sie sich nur die Wirtschaftsverflechtung an. Dennoch haben wir auch Probleme: Bananen, Stahl, das Kyoto-Protokoll, den Internationalen Strafgerichtshof - und natürlich auch hochpolitische Fragen wie den Irak. Dazu muss man sagen, dass wir Europäer nicht immer verstanden haben, wie sehr die USA im Innersten durch den 11. September erschüttert worden sind. Auf der anderen Seite betonen wir Europäer immer wieder, dass dem Terrorismus nicht nur militärisch begegnet werden kann, sondern dass es darum geht, den Nährboden zu bekämpfen - indem wir gegen die Armut vorgehen, einen Dialog der Zivilisationen führen etc. Eigentlich wäre hier ein komplementäres Verständnis das Richtige. Ich glaube auch, dass das inzwischen beide Seiten erkannt haben. Das hat sich auch bei der letzten UN-Sicherheitsratsresolution gezeigt, die mit 15:0 einstimmig verabschiedet wurde: Wer hätte das noch vor kurzem gedacht! Ich freue mich auch, dass in dieser Resolution angedacht ist, den Irakern ihre Souveränität so rasch wie möglich zurückzugeben und dass hier doch europäisches Gedankengut - und solches der UNO - eingeflossen ist.

Die Furche: Sie haben gesagt, die Europäer haben die Amerikaner zu wenig verstanden. Man hat auch oft den Eindruck, die Amerikaner tun sich schwer, vieles bei den Europäern zu verstehen: etwa ihr Zögern in außenpolitischen Fragen, ihr Festhalten an überkommenen Strukturen im Wirtschafts- und Sozialbereich, die vergleichsweise geringe Flexibilität...

Ferrero-Waldner: Es gibt natürlich Unterschiede in der kulturellen Tradition. Daher ist es ja so wichtig, dass man diesen transatlantischen Dialog sehr ernst nimmt. Den gibt es - aber der muss jetzt intensiviert, vor allem vertieft werden. Das Ziel wäre, ein partnerschaftliches Verhältnis auf Augenhöhe zu erreichen. Dazu muss freilich die EU mit einer Stimme sprechen; eine Vision wäre da beispielsweise eine gemeinsame europäische Position im UN-Sicherheitsrat.

Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner.

Außenministerin, bereits im Vorwahlkampf

In jüngster Zeit kommt all ihren Äußerungen und Auftritten eine über das Amt der Außenministerin hinausgehende Dimension zu: Was immer Benita Ferrero-Waldner, 1948 in Salzburg geboren, in diesen Tagen sagt oder tut, wird von Beobachtern im Hinblick auf ihre als sicher geltende Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten gewertet. Offiziell ist freilich nichts - und einschlägige Äußerungen aus ihrem oder sonst einem VP-Mund sind nicht zu haben; doch das Land richtet sich bereits auf einen Zweikampf zwischen dem SP-Granden Heinz Fischer und der österreichischen Außenministerin, allenfalls noch bereichert um eine Grünen-Kandidatin, ein. Dass es "Zeit für die erste Frau im Staate" sei, meinte schon - erfolglos - Heide Schmidt. Es bleibt abzuwarten, ob auch die Österreicher das mittlerweile mehrheitlich so sehen - oder doch dem in jeder Hinsicht versierten, dem traditionellen Amtsprofil sehr entsprechenden Heinz Fischer den Vorzug geben, nicht zuletzt um der parteipolitischen Machtbalance willen. Wie auch immer, mit einer Präsidentin Ferrero-Waldner sowieso, aber auch mit Fischer in der Hofburg: das Verhältnis zwischen Ballhausplatz 1 und 2 kann nur besser werden.

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