Mit den Wölfen heulen

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Am Wiener Burgtheater feierte "Mephisto" Premiere, den Nazi-Karriere-Roman von Klaus Mann hat Bastian Kraft für die Bühne adaptiert. Ein furioser Saisonstart!

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Am Wiener Burgtheater feierte "Mephisto" Premiere, den Nazi-Karriere-Roman von Klaus Mann hat Bastian Kraft für die Bühne adaptiert. Ein furioser Saisonstart!

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In der Schlussszene nach fast dreieinhalb Stunden übergibt der Autor Sebastian dem realen Helden seines Romans Hendrik Höfgen ein Manuskript, dessen Veröffentlichung dieser aber nie zustimmen werde, wie er erklärt, weil das, was er Roman nenne, nicht weiter als ein Konvolut von Verleumdungen sei. Darauf antwortet ihm der Autor: "Du wolltest doch den Ruhm um jeden Preis. Ich helfe dir dabei. Willst du der Nachwelt etwa anders in Erinnerung bleiben? Willst du doch nicht der Teufel sein, den du dein Leben lang so virtuos gegeben hast?" Und Höfgen erwidert: "Weshalb geht man so hart mit mir ins Gericht? Ich bin Schauspieler! Was kann ich für den Wahnsinn dieser Zeit?"

Der Roman, um den es hier geht, ist "Mephisto", den Klaus Mann 1936 im Exil in Amsterdam geschrieben hat. Unter der Regie von Bastian Kraft feierte er nun am Burgtheater Premiere.

Die Veröffentlichung von "Mephisto" wurde in der restaurativen Stimmung der Bundesrepublik der sechziger Jahre verboten, weil in seinem Helden unverblümt Gustaf Gründgens erkannt werden konnte, und seine Erben -Gründgens starb schon 1963 - Persönlichkeitsrechte verletzt fanden. Dem so manche Bosheit enthaltenden Roman, der aber eigentlich ein artistisches Verwirrspiel mit Faktischem und Fiktivem betreibt, hat das Verbot zu umso größerer Popularität verholfen.

Die böse Legende um den Künstler, der sich den Mächtigen andient, ist seither ein beliebter Stoff für Bühnenadaptierungen, wobei das Interesse gar nicht dem realen Vorbild Gründgens persönlich, sondern vielmehr dem Exemplarischen des Typs galt. Bastian Krafts kluge Bühnenfassung am Burgtheater ist aber nicht nur ein Psychogramm des geltungssüchtigen Opportunisten, der es vom Provinzschauspieler in atemberaubender Geschwindigkeit zur glänzenden Galionsfigur des Nazi-Kulturbetriebes schaffte, indem er von Göring zum Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters und zum Staatsrat ernannt wurde.

Der Bühnenbildner Peter Baur hat für Krafts rasante Szenenfolge eine wunderbar wandlungsfähige Bühne entworfen. Ihr Hauptelement und sprechendes Zeichen ist ein langes Laufband (die Laufbahn!), das im Verlauf des Abends immer steiler ansteigt. Es wird von vier portalhohen mobilen Stehlen gesäumt, die als Rahmen, Projektionsflächen oder als architektonische Elemente benutzt werden. Am Anfang machen sie die Bühne eng, Sinnbild für die Enge der Provinz, der Höfgen zu entrinnen sucht und weiten sich als dieser endlich das ersehnte Berlin erreicht.

"Ich habe doch nur Erfolg"

Krafts Fassung verleiht vor allem der Beziehung des Autors zum Vorbild seines Romanhelden besonderes Gewicht. Fabian Krüger als Sebastian (alias Klaus Mann) fungiert als eine Art Conférencier, der immer wieder ins Spiel eingreift, es kommentiert, die Handlung stets vorwärts treibt. In raschen Szenenwechseln werden die Karrierejahre abgespult: die erste Begegnung der Männer 1925, das gemeinsame Theaterspiel, "die Revue zu vieren" gemeinsam mit Erika Mann (Dörte Lyssewski), Pamela Wedekind (Sabine Haupt), die Ehe, in der der Freund zum Schwager wird, die Theatererfolge, aber auch das politische Engagement für die Kommunisten, die Machtergreifung Hitlers mit anschließender Protektion durch das Ehepaar Göring sowie sein Einsatz für politisch verfolgte und jüdische Mitarbeiter. Bis sich auf einmal die drängende Frage stellt: gehen oder bleiben? Mit der Begründung die einzige Ressource sei sein Talent, Emigration sei was für Schwächlinge und man müsse lernen mit den Wölfen zu heulen, entschließt sich Höfgen zu bleiben.

Nicholas Ofczarek in der Rolle des Mephisto Hendrik Höfgen (alias Gustaf Gründgens) erscheint zunächst wie eine Fehlbesetzung. Er ist nicht der kokette, leichtfüßige, geschmeidige, agile Charmeur, der zynische Täuscher, der, weil er nichts ist, alles sein kann, wie Diderot das Paradox des Schauspielers beschreibt. Von seinem Talent überzeugt, ja, eitel auch, charakterlos vielleicht, aber nicht frei von Zweifel, wenn er fragt: "Bin ich ein Schurke? Ich habe doch nur Erfolg."

Was Krafts Interpretation interessant macht, ist, dass für ihn Manns Roman nicht aus Hass geboren ist, wie Lion Feuchtwanger behauptet hat. Kraft nimmt ihm den denunziatorischen Spott, tilgt das Pamphlethafte. Höfgen ist bei ihm nicht der geschliffene, exzentrische Karrierist, der ruhmsüchtige, exzessive Selbstdarsteller und anmutige Galan der Berliner Gesellschaft. Ofczarek, und das ist großartig anzuschauen, spielt den Höfgen als zutiefst ambivalenten, bisweilen tragisch verunsicherten Charakter, ein trauriger Marionettenclown, an den Fäden der Macht, zerrissen vom Zwiespalt. Und damit fragt Krafts Inszenierung nicht nach der psychologischen Motivation des Opportunisten, sondern nach etwas viel Allgemeinerem, nämlich: wie sich verhalten in schwieriger Zeit. Am Ende sagt Höfgen: "Ich hab mir gewünscht, es sei nur eine Rolle, die ich spiele und die ich einfach ablegen kann, wenn die Vorstellung zu Ende ist." Und Sebastian erwidert: "Aber was in diesem Land passiert, ist kein Theaterstück. Und es hört nicht auf, wenn sich irgendein Vorhang senkt, sondern erst dann, wenn wir selbst etwas daran ändern."

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