Mit der Filmkamera im "Jenseits"

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Mit "Athos - im Jenseits der Welt" dringt der Kinofilm in die Mönchsrepublik vor - gewaltig und auch gewaltsam. FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer, Athos-Pilger seit mehr als 30 Jahren, über den Versuch, eine stille Innenwelt für großes Publikum erreichbar zu machen.

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Mit "Athos - im Jenseits der Welt" dringt der Kinofilm in die Mönchsrepublik vor - gewaltig und auch gewaltsam. FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer, Athos-Pilger seit mehr als 30 Jahren, über den Versuch, eine stille Innenwelt für großes Publikum erreichbar zu machen.

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Gibt es noch weiße Flecken auf der Landkarte von Film-Schauplätzen? In Europa wohl nicht - oder doch? Irgendwann gegen Ende dieses ungewöhnlichen Streifens, der jetzt in den Kinos anläuft, sagt Vater Epifanios, Herr über die Skite Mylopotamos, vor der Kulisse von Meer und Weingärten: "Zum Athos gibt es für die Außenwelt nur eine kleine Türe. Denn hier leben Menschen, die das Bedürfnis haben, allein zu sein."

Wir sind an ungewöhnlichem Ort: in der Klosterwelt des Heiligen Berges der christlichen Ostkirchen, der Orthodoxie. Der weltweit letzten autonomen Mönchsrepublik. Dem "Garten der Muttergottes".

Wie Festungen erheben sich die Klosterburgen im Schatten des über 2000 Meter hohen Athosgipfels. In dunklen Tälern und steilen Felshängen verstecken sich Mönchsgehöfte und Einsiedeleien. Rückzugsorte für Männer, die ihr Leben ganz dem Glauben, der Stille und Entsagung widmen wollen. Geschützt vor allem, was ihnen "Welt" bedeutet: Hast und Lärm, Egoismus und Ehrgeiz, Maßlosigkeit und Versuchung - die der Weiblichkeit eingeschlossen.

Nach wie vor herrscht Filmverbot

Ja, es hat auch früher Versuche gegeben, die "Gegenwelt" des Athos im Film festzuhalten, meist unter schwierigen Bedingungen. Denn nach wie vor herrscht dort Filmverbot. Mönche und Eremiten haben andere Lebensziele, als sich der Neugier und Faszination eines weitgehend gottlos gewordenen Filmpublikums zu stellen. Wollen lieber für sich und unter sich bleiben -in Gebet, Arbeit und Lobpreis Gottes. "Es liegt kein Segen über dem Filmen", steht auf manchen Klostertoren. Aber der technische Fortschritt hat das Film-Verbot längst überrollt: wer vermag heute noch zu erkennen, was eine Kamera im Klosterhof, beim Stundengebet, gar während der "göttlichen Liturgie" digital produziert - Bilder oder Videos? Verwirrt blicken Athos-Mönche in Objektive, Smartphones und Tablets und fragen sich: Sind sie ins unerreichbar Scheinende gezogen, um nun auch hier ausgeliefert zu sein?

Jetzt also dieser Kinofilm "Athos - jenseits der Welt". Gewaltig und gewaltsam zugleich. Mit wunderbar langsamen Szenen fährt er ganz nahe an die Gesichter derer heran, die all dem doch entfliehen wollten. Die jetzt erleben, wie gerade das ganz Kleine, fast Lautlose ihres Betens und Arbeitens ganz groß wird: das Brotbacken und Traubenernten, das Kreuzeschnitzen, Ostereierfärben, Hymnensingen und die Kronleuchter ihrer Kirchen und Kapellen In-Festliches-Schwingen-Versetzen. Wie die Alltags-Mystik, in die sie eingewoben sind, für Kinobesucher neu aufbereitet wird. Begleitet vom Ziehen der Wolken und der Jahreszeiten.

Als Athos-Pilger seit Jahrzehnten, vielen Mönchen verbunden, habe ich das Entstehen dieses Filmprojekts aus kritischer Nähe verfolgt. War betroffen von der Nichtbeachtung des Filmverbots, auch verwirrt von der Mitarbeit einiger Mönche, ja einem spät aufgetauchten "Segensbrief" des Patriarchats für die Film-Crew. War dann aber doch berührt von der Kraft der so entstandenen Bilder.

Und zugleich voll von unbeantworteten Fragen:

Ist der Athos heute schon mehr "diesseits der Welt", als ich es wahrnehmen wollte - der eigenen Sehnsucht zuliebe? Wie lange noch können solches "Diesseits" und "Jenseits" nebeneinander überleben? Hier ein Mönch als begnadeter Koch und erfolgreicher Weinhauer. Da der Einsiedler, der sein Leben ganz dem Schöpfer übergeben hat - mit allem Glück und aller Verzweiflung, die aus dieser Hingabe wächst.

Und welches Recht hat jede Kritik an einem Film, der tausenden Menschen, die nie die Küsten des Athos erreichen werden, von einer wunderbaren Glaubenswelt erzählt, für die EU-Europa Millionen-Förderungen bereitstellt, um die Klöster und ihre Kirchenschätze zu erhalten?

Kein Abbild des Heiligen Berges

Darf jemand wie ich, der seine eigenen Athos-Eindrücke in Wort und Schrift beschrieben hat, dasselbe einem anderen Medium vorwerfen? Einem, das vielleicht noch mehr Kraft besitzt, um der Schönheit, aber auch der Gebrochenheit dieser Ausnahme-Landschaft mit ihren mehr als 2000 Ausnahme-Menschen gerecht zu werden?

Dieser Film ist sehenswert, keine Frage. Er öffnet den Blick auf einen uralten Quell menschlichen Glaubens; erzählt von den Geschenken der Stille und des Schweigens, des Loslassens und der Herzensruhe. Er zeigt aber auch, dass alles Menschliche, auch das Leben der Mönche, bruchstückhaft und unvollkommen ist. Und niemand einen sicheren Vorsprung hat.

Was er freilich nicht ist, vielleicht nicht sein will oder sein konnte: ein getreues Abbild des Lebens am Heiligen Berg: Die 20 Großklöster des Athos - architektonische Wunderwerke, Schatzkammern ostkirchlicher Kunstfertigkeit, in denen ja die große Mehrheit der Mönche lebt - sind in diesem Film so gut wie nicht zu sehen. Kein Wort erzählt vom Segen und von der Last dieser Gemeinschaften.

Es muss also doch mit dem Dreh-Verbot zu tun haben, dass der Fokus des Films auf entlegenen Mönchs-Behausungen liegt, in denen Menschen in der ganzen Radikalität ihrer Gottsuche bemüht sind, mit dem All-Einen allein zu sein.

"Mein" Athos steht freilich auch noch auf anderen Fundamenten.

Athos - Im Jenseits dieser Welt

D/A/GR 2016. Regie: Peter Bardehle, Andreas Martin. Langbein & Partner. 95 Min.

Der Mönch in mir

Erfahrungen eines Athos-Pilgers für unser Leben.

Von Heinz Nußbaumer. Styria Premium 2013,144 Seiten, kt., € 15,- Hörbuch (gelesen vom Autor): Styria Premium 2014, € 18,99

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