Mit Gespür für typisch österreichische Systeme

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Dass sich auffällig viele etablierte Autorinnen und Autoren zurzeit dem Kriminalroman zuwenden, zeugt nicht nur von dessen Beliebtheit, es zeigt auch, wie schwierig dieses unterschätzte Genre zu handhaben ist. Das kann gut gehen -J. K. Rowling hat nach ihrem Welterfolg mit Harry Potter einen mehr als passablen gesellschaftskritischen Krimi vorgelegt, und auch was sie unter dem Pseudonym Robert Galbraith geschrieben hat, ist lesenswert und wird Krimifans erfreuen - oder es kann ziemlich missglücken, wie in Sibylle Lewitscharoffs letztem Roman "Killmousky".

Nun wagt sich auch Franzobel ans blutige Gewerbe. Da hat man weniger Bauchweh, der Tausendsassa hat sich schon immer querbeet durchs literarische Feld gepflügt, warum nicht einmal ein Krimi. "Wiener Wunder" nennt sich der Roman, das Setting ist, wie man es von Franzobel nicht anders erwartet, etwas skurril, ebenso die Figuren: Kommissar Falt Groschen wird per Mail anonym der Selbstmord eines Spitzensportlers angekündigt: "Dabei wird es sich um eine geschickte Inszenierung handeln, die ein Verbrechen verschleiern soll. Mord!" Als wenige Tage später sich der Leichtathlet Edgar Wenninger tatsächlich selbst umbringt, beginnen Groschen und seine zwei Assistenten zu ermitteln.

Viele Tatverdächtige

Gründe für einen Suizid finden sich zuhauf: Gerade noch Weltklassesportler und Liebling der Medien und Sponsoren wird der 400-Meter-Läufer des Dopings überführt und verliert alles. Jene, die ihn eben noch gefeiert haben, machen ihn zum Sündenbock und obendrein betrügt ihn seine Frau mit seinem Trainer. Der Fall ist wortwörtlich tief: Wenninger stürzt aus dem vierten Stock der Wohnung seines Managers und Dopinglieferanten.

Doch auch mögliche Täter sind im dubiosen Umfeld des vermeintlichen Opfers keine Mangelware: Seine Frau Marion, die von einer Lebensversicherung profitieren würde, ihr Geliebter Oktavian Tulipan, der einen Konkurrenten aus dem Weg räumen will, der seinem Namen alle Ehre machende Journalist Walter Maria Schmierer oder "Spritzen-Charly" Karl Stanek, Doping-Guru, bei dem sich die österreichischen Sporthelden die Klinke in die Hand drücken.

Dann gibt es noch den mysteriösen Doping-Fahnder Hanns Hallux, der offenbar nicht nur an der Aufklärung von Fällen illegaler Leistungssteigerung interessiert ist, sondern selbst kräftig mitmischt. Ohne Doping keine Helden -und auch keine Soko-Doping.

Österreichische "Befindlichkeit"

Franzobel beweist wieder einmal sein Gespür für das, was man gemeinhin unter typisch österreichischer "Befindlichkeit" subsumiert. So ganz nebenbei platziert er Seitenhiebe auf die Tagespolitik, macht sich lustig über die österreichische Vorliebe fürs Kleinformat und zeigt am Beispiel der Dopingszene, wie österreichische Systeme so funktionieren: ein bisschen Mauschelei, ein bisschen Korruption, eine Hand wäscht die andere und keiner schaut so genau hin.

Konsequenterweise ist auch Kommissar Groschen ein Kind dieser Gesellschaft: Er isst gern deftig, trinkt zuviel, ist latent rassistisch ("Bei Ausländern kannte er sich nie aus, bei Schlitzaugen schon gar nicht") und offen sexistisch. Nun ist ein Philip Marlowe auch nicht gerade als Feminist in die Weltliteratur eingegangen und ein Text kann ja nicht für seinen Kommissar haftbar gemacht werden. Allerdings für seine Sprache und die fällt leider oft etwas dürftig aus: Da läuft Groschen "ein Frösteln über den Rücken", er hat "ein diffuses Bauchgefühl", und wenn sich "Augenpaare" treffen, ist es schon mal, "als würde einer dem anderen in die Seele blicken". Sprachlicher Witz schaut anders aus.

Dialoggeprägter Text

Dass Frauen ständig telefonieren, Männer zu Sitzpinklern degradieren wollen und diese sich beim Bier mit chauvinistischen Witzen revanchieren, kann man dem personalen Erzählstil zuschreiben - der Leser sieht die Welt mit Groschens Augen. Die Frage ist nur: Wieso sollte man es lesen wollen? Eine solche Figur könnte Spaß machen, wäre sie in der Manier eines Herrn Karl angelegt. Das ist sie leider nicht, dazu traut sich der Autor zuwenig die Genreregeln in Richtung Satire oder Trash zu verschieben, auch wenn beides angedeutet wird. Stattdessen gibt Franzobel seinen Kommissar ein wenig der Lächerlichkeit preis, mit Passagen wie dieser: "Und Groschen sah oder vielmehr erahnte er kurz das, was er für die Ursache von allem hielt, den Grund für Wenningers Doping, den Anlass für Tulipan, vielleicht sogar für Schmierer und möglicherweise auch für einen Mord: zwei unwahrscheinliche Brüste." Die "nach oben zugespitzten Birnenbrüste", die "ungeheuren Titten", irgendwann wird das ziemlich langweilig. "Du siehst zuviele Fernsehkrimis. Inspektor Zwilling stellte sich breitbeinig hin und hob sein Kinn. Aussage verweigern? Anwalt? Wir sind hier nicht beim 'Tatort'." So fühlt man sich aber. Der stark dialoggeprägte Text erinnert an ein Drehbuch für einen Fernsehkrimi. In einem solchen könnten die Figur und der Plot durchaus funktionieren. Von einem Kriminalroman von Franzobel hätte man sich allerdings etwas mehr schwarzen Humor gewünscht.

Wiener Wunder Kriminalroman von Franzobel Zsolnay 2014.224 S., geb., € 19,90

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