Mit Glaubensmut gegen die Lebensangst

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Francis Poulencs katholisch fundierte Oper "Dialogues des Carmélites“ ist in konzentrierter Eindringlichkeit - szenisch wie musikalisch - am Tiroler Landestheater zu sehen.

Als Karl Jaspers 1931 das "Zeitalter der Angst“ ausrief, erschien Gertrud von Le Forts Novelle "Die Letzte am Schafott“. Die Dichterin verlegte ihre zentrale Figur, die angstgeschüttelte Blanche de la Force, "von der Gegenwart in die Französische Revolution“. Für das psychologisch und mystisch grundierte Geschehen wählte sie authentisches Material: Am 17. Juni 1794 wurden in Paris 16 Karmeliterinnen des Konvents von Compiègne hingerichtet, die sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. Georges Bernanos nahm die Novelle zum Anlass für ein Drehbuch und eine Bühnenfassung ("Die begnadete Angst“), die den Komponisten Francis Poulenc zur Vertonung drängte. Er hatte einen Kompositionsauftrag der Mailänder Scala und war 1957 mit "Dialogues des Carmélites“ erfolgreich.

Zeitalter der Angst

Das Zeitalter der Angst ist nicht vorbei. Die Oper greift auffallend in unseren Tagen. Das Theater an der Wien zeigte im April erneut die wunderbare Carsen-/de-Billy-Produktion, Neuinszenierungen gibt es in Hamburg, Kassel, Basel, Düsseldorf, Bern, München, Stuttgart, Berlin und nun auch eindrucksvoll an Brigitte Fassbaenders Tiroler Landestheater.

Regisseurin Marina Wandruszka bleibt in Innsbruck nah am Stück. In eindringlicher Personenregie formt sie die Schlüssigkeit der äußeren und - mehr noch - inneren Geschehnisse, die Szenen wachsen aus den existenziellen Erörterungen der Nonnen, die den Zuschauer sogartig ins Stück ziehen. Dabei bleibt die geistige Individualität der Frauen, die ihr selbstbestimmtes Leben unter den Bedingungen des Karmel bis zum Tod verteidigen, gewahrt.

Zwischen den Stilen

Auch die von Panikattacken gequälte Blanche tritt mit Glaubensmut gegen die Lebensangst an. Das äußerst karge Leben, die jede geistige Bequemlichkeit ausschließenden Regeln und die Gespräche der Schwestern verschaffen ihr Haltung, aber keinen Frieden. Zutiefst verstört sie das qualvolle Sterben der Priorin, die in ihrer Todesangst die Heilserwartung verliert. Während Mère Marie in ihrer fundamentalistischen Unnahbarkeit den Nonnen ein Märtyrergelübde abpresst, strahlt die neue Priorin in christlicher Nächstenliebe auf. Mère Jeanne hängt an der Christuspuppe als ihrem Kind, Sœur Mathilde lässt einen härteren Kurs erahnen (im Hintergrund gibt es einmal eine Selbstgeißelung), und Sœur Constance ist ein zauberhaft lebensbejahendes, Gott kindlich umarmendes Geschöpf. Blanche verlässt panisch die in den Revolutionswirren verstreute Gemeinschaft, doch als sie die Schwestern singend sterben sieht, teilt sie im Tod mit ihnen Freiheit und Würde.

Die Bühnen- und Kostümbildnerin sowie bildende Künstlerin Claudia Spielmann-Hoppe lässt die Bühne frei und hat für den Hintergrund einen breiten, beschwerlich gestaffelten Weg gemalt, der nach oben in eine ungewisse Unendlichkeit führt. Die kostbaren Kostüme der adeligen Familie de la Force und jene des Volkes und der Soldaten markieren Zeit und politische Umstände.

Poulenc komponierte das Sujet zwischen den Stilen am Sprachklang entlang, dialogisch kommentierend, emotionale Spannungen ausleuchtend zwischen Glaubensintensität, Bedrohung und jazzigen Spritzern. Dirigent Alexander Rumpf verlangt dem Orchester Flexibilität und Spannung ab, verschmilzt die Dur-Moll-Schatten mit den Gesangspartien. Schöne Holzbläsersoli tauchen auf, farbenreich und diffizil fangen Orchester und Chor die Stimmungsnuancen ein.

Diffizile Stimmungsnuancen

Christine Buffle ist in ihrer geheimnisvollen Verschlossenheit eine ideale Blanche, darstellerisch intensiv und stimmlich großartig, jung genug zum Aufbegehren, reif genug zur Versagung. An der Spitze des durchwegs imponierenden Ensembles stehen Susanna von der Burg (alte Priorin), Anne Schuldt (Mère Marie), Maud Darizcuren (neue Priorin), Susanne Langbein (Sœur Constance), Brenden Gunnell (Chévalier de la Force) und Ansgar Matthes (Beichtvater). Gesungen wird in französischer Sprache; die Produktion wird auch in der kommenden Saison gezeigt.

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