Mit Größenwahn in einer Parallelwelt

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Was passiert mit einem Bankdirektor, der mit dem Ersparten seiner Kunden riskante Geschäfte macht und alles verspielt? Wie sieht so eine Persönlichkeitsstruktur aus? Das fragt die Inszenierung von Henrik Ibsens "Bankier Borkman" bei den Festspielen in Reichenau.

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Was passiert mit einem Bankdirektor, der mit dem Ersparten seiner Kunden riskante Geschäfte macht und alles verspielt? Wie sieht so eine Persönlichkeitsstruktur aus? Das fragt die Inszenierung von Henrik Ibsens "Bankier Borkman" bei den Festspielen in Reichenau.

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Kapitalismuskritik ist in Zeiten sozioökonomischer Krisen am Theater hoch im Kurs. Knapp einen Monat nach der Festwochen-Inszenierung von Simon Stones skelettierter "John Gabriel Borkman"-Neuinterpretation feierte eine völlig konträr gestaltete Produktion bei den Festspielen Reichenau Premiere. Während der junge australische Regisseur Stone die Geschichte um den bankrott gegangenen Borkman radikal in die Gegenwart holt, spart die Reichenauer Version direkte Anspielungen ins Heute aus.

Dabei wurde eigens eine Neufassung erstellt, die allerdings nur sachte in die Vorlage eingreift. Die wohl merkbarste Änderung findet sich im Titel: "Bankier Borkman" heißt hier Henrik Ibsens Gesellschaftsdrama aus dem Jahr 1896, und das gibt klar die Richtung vor: Was passiert mit einem Bankdirektor, der mit dem Ersparten seiner Kunden riskante Geschäfte macht und alles verspielt? Wie sieht so eine Persönlichkeitsstruktur aus?

Martin Schwab gibt diesen Borkman als hochneurotischen Narzissten, als Größenwahnsinnigen, der trotz Verurteilung und Verbüßung der Haftstrafe noch immer an sein Genie glaubt, bzw. - und das ist das Tragische dieser Figur - an seine Fähigkeit und sein Bestreben, "Wohlstand für Tausende" mittels seiner Machenschaften schaffen zu können.

Nun lebt Borkman nicht nur isoliert am Dachboden seines Hauses, er lebt vor allem in einer Parallelwelt, die ihm diesen Tunnelblick möglich macht. Welchen Schaden er anrichtete, auch an der eigenen Familie, das erkennt Borkman nicht.

Finanzwelt als Theaterwelt

Wie sehr Finanz-und Theaterwelt zusammenhängen, zeigen sowohl das Vokabular im Stück als auch in der aktuellen Wirklichkeit der Griechenlandkrise: Vom Finanzjongleur Borkman ist hier ebenso die Rede wie vom nächsten Akt im Schuldendrama. Am Beispiel von Borkman zeigen sich Fallhöhe, Aufstieg und Untergang sowie die ständigen Wendepunkte solcher Katastrophen.

Ohne Erwähnung von konkreten Namen oder jüngerer Finanzskandalen -Helmut Elsner und die veruntreuten BAWAG-Gelder oder die Korruptionsaffäre der Hypo Alpe Adria -legt die Reichenauer Fassung dennoch die Fährte, auch wenn sie diese künstlerisch nicht konsequent verfolgt. So bleibt es beim Bild des Größenwahns, etwa wenn Schwab "Lohengrin" singt, am Klavier begleitet von Julia Stembergers Tochter Fanny Altenburger, die hier das Mädchen Frida als Musterbild von Unschuld und Treue gibt.

Ansonsten gleicht Alfred Kirchners abgehobene Inszenierung eher einem Gruselkabinett mit hochneurotischen Sonderlingen, deren Leben schon vor langer Zeit zu Ende gegangen ist. Regina Fritsch - seit Jahren Fix-Star in Reichenau -gibt Borkmans eiskalte Ehefrau Gunhild. Im schwarzen, hochgeschlossenen Kleid wird sie nur von der äußeren Form zusammengehalten. Als ihre Schwester Ella (Julia Stemberger) nach Jahren der Trennung plötzlich auftaucht, gerät Gunhilds erstarrter Körper in Bewegung:

Wie ein Schlange windet sie sich gegen jegliche Veränderung. Und als ihr Sohn Erhart erklärt, dass er mit Frida und seiner Geliebten das Land verlassen wird, da gerät sie vollständig außer sich und skandiert jede Silbe ihres verzweifelten Versuchs, Erhart festzuhalten. Doch dieser will nur eines: leben, und das bedeutet ausbrechen aus diesem Museum erstarrter Positionen.

Der Blick auf die Bühne gibt einen düsteren, gut-bürgerlichen Salon frei. Das Bild einer übergroßen Blumenvase zeigt die Intention: Im Borkman'schen Haushalt gibt es nichts Echtes oder gar Lebendiges mehr, nur die Vorstellung von dem, was zum bürgerlichen Standard gehört. Gier und Verantwortungslosigkeit haben alle lebendigen Beziehungen getötet, was übrig geblieben ist, sind hohle Visionen. In der schön-schillernden, dunklen Erzlandschaft frieren die Figuren am Ende ein, als verwandelten sie sich selbst zum kalten Gestein, dem sie nichts Menschliches mehr entgegensetzen können.

Bankier Borkman Festspiele Reichenau, bis 3. August www.festspiele-reichenau.com

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