Mit Melancholie in die Vergangenheit

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Der Feuilletonist Karl Tschuppik schrieb sich ab 1933 mit seinem Roman "Ein Sohn aus gutem Hause" in die Zeit der Monarchie zurück.

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Der Feuilletonist Karl Tschuppik schrieb sich ab 1933 mit seinem Roman "Ein Sohn aus gutem Hause" in die Zeit der Monarchie zurück.

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"Ein Sohn aus gutem Hause" ist der einzige Roman des 1876 in Horowitz, heute Tschechien, geborenen Publizisten Karl Tschuppik. Er erschien in seinem Todesjahr 1937 im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange. Zu schreiben begann Tschuppik den Roman nach 1933, als die Machtübernahme der Nationalsozialisten ihn zur Flucht aus seinem damaligen Wohnort Berlin nach Wien zwang. Das Buch ist also von seiner ganzen Anlage her ein melancholischer Abgesang -allerdings nicht auf die Erste Republik, sondern auf das Habsburgerreich.

Wie Joseph Roth suchte Tschuppik vor dem Unheil der Nationalsozialisten, die er als Publizist tapfer bekämpft hatte, sein erzählerisches Heil in der Monarchie vor dem Sündenfall des Ersten Weltkriegs. Das erklärt die vielen, heute irritierenden Altösterreich-Klischees vom ach so toleranten Umgang mit heiklen Liebesaffären in der oberen Gesellschaft als Erbe von Metternichs Freiheit "in allen Lebensdingen" zum Ausgleich für politische Bespitzelung. Die strukturelle Genie-Feindlichkeit des Systems ließ jedoch allerorten jene Originale sprießen, die Tschuppik im Hotel Bristol konzentriert, wo er in Wien Quartier zu nehmen pflegte.

Der Verlag rahmt das Buch mit nicht weniger nostalgischen Vor-und Nachreden von Joseph Roth bzw. Milan Dubrovi´c und hat auf einen Essay zur kritischen Neulektüre und historischen Einordnung verzichtet. Ein solcher hätte hilfreich sein können, denn der Autor verdient ein ehrendes Gedenken als Essayist und Feuilletonist, mehr als der Roman vielleicht vermuten lässt. Abgesehen von sprachlichen und kompositorischen Schwächen, glaubt man bei der Lektüre den Figuren in der Literatur so schon sehr oft und auch besser beschrieben begegnet zu sein: der Empathie-unfähige Gründerzeit-Vater, der orientierungslose Sohn, die Tochter, die neue Wege sucht und von der Gesellschaft wohl noch nicht zugestanden bekommt.

Bei Tschuppik leidet Vater d'Adorno unter seinem Abstieg vom alten, aber verarmten Adel zum Ministerialbürokraten. Den letzten Rest an Beziehungsfähigkeit verliert er, als ihn seine Frau einer Affäre wegen verlässt. Zwar wird der Skandal eben "altösterreichisch" abgewendet, da der Liebhaber aus dem Umfeld des Kaiserhauses stammt, aber die Verknöcherung des alten Herrn schreitet unaufhaltsam voran.

Zweifelhafter Ehrbegriff

Seinem Sohn Max hat er nichts mitzugeben als seinen zweifelhaften Ehrbegriff. Daran scheitert Max umgehend. Bei der ersten Kränkung durch einen Mitschüler entzieht er sich durch Flucht. Daraufhin kommt er in ein Prager Gymnasium und gerät hier, auch durch seine fatale Neigung zu etwas älteren, ein wenig verdorbenen Freunden, ins Umfeld des Skandals um Oberst Redl. Erst in der Kadettenanstalt fühlt sich Max dann rundum wohl. Das klare Reglement und die homoerotische Atmosphäre behagen ihm gleichermaßen. Komplikationen bringen die ersten Frauenbeziehungen.

Seine verarmte Prager Jugendliebe wird Tänzerin im Wiener Tabarin, der hübsche blonde Max hingegen der Liebhaber der gelangweilten Gattin eines Vorgesetzten.

Dass alles nicht gut ausgehen wird, lehrt sozusagen nur die Geschichte. Max selbst fühlt sich durch seine Affäre mit der Rittmeistersgattin gereift; es ist eines jener Verhältnisse, wie es sich Schnitzlers Leutnant Gustl vergeblich gewünscht hat, um "doch noch einen andern Schliff" zu bekommen. Klüger ist Max durch diesen Schliff freilich nicht geworden und freut sich wie Gustl auf den bevorstehenden Krieg. Trotzdem, gäbe es nicht andere literarische Berichte, man müsste sich Kadettenanstalten und das alte Österreich insgesamt beinahe als Idylle vorstellen. Einmalig aber ist Tschuppiks Roman in der auch sprachlich besonders dichten Prag-Episode - eine Liebeserklärung an die Stadt, in der er von 1898 bis 1917 als Redakteur des Prager Tagblatts arbeitete.

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