Mit Mond-List zum großen Welt-Ziel

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* Am Vorabend seines 80. Geburtstags begeisterte Nikolaus Harnoncourt im Theater an der Wien mit einer illustrativ bebilderten Produktion von Joseph Haydns „Il mondo della luna“. Dabei zielte Harnoncourts spannungsreich-differenzierte Interpretation nie auf den äußeren Effekt, sondern auf die intimen Töne dieser von Nachdenklichkeit bestimmten Partitur.

Ein großer Ball, eine Marionettenoper, zum Finale dieses dramma giocoso in tre atti, „Il mondo della luna“: Das war das Programm anlässlich der Hochzeit von Graf Nikolaus, dem jüngeren Sohn von Haydns Dienstgeber Fürst Nikolaus Esterházy, mit Gräfin Maria Anna Weißenwolf, einer Nichte der Fürstin. Nach drei Aufführungen wurde die Oper abgesetzt. Erst 1932, zu Haydns 200. Geburtstag, wurde sie in einer Bearbeitung von Mark Lothar im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin wieder aufgeführt.

Später kam die dem Original näherstehende Fassung des kürzlich verstorbenen H. C. Robbins Landon heraus. Carlo Maria Giulini hob sie beim Holland-Festival 1959 aus der Taufe. Dass man sich für die 1777 entstandene, mittlerweile in einer textkritischen Version vorliegende Haydn-Oper mehr zu interessieren begann, hing auch mit der Technik zusammen. Konkret mit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten „Sputnik“.

Macht und Wahrheit

„Il mondo della luna“ eine die Eroberung des Alls voraussagende Oper? Von kundigen Regisseuren und findigen Bühnenbildnern ließen sich auch solche Assoziationen mit diesem Sujet verbinden. Tatsächlich geht es in dieser opera semiseria um Grundsätzlicheres. Zum einen um den Umgang mit persönlicher Macht, zum anderen um die Frage der Wahrheit – hier dargestellt an einem Goldoni-Stoff: dem schließlich untauglichen Versuch des selbst in Liebe zu seiner Kammerzofe Lisetta entflammten Buonafede, die Heirat seiner Töchter Clarice und Flaminia zu verhindern. Da hilft nur List.

Betrügerisch gaukelt Ecclitico, Clarices Liebhaber, mit seiner Traumfabrik Buonafede das vermeintliche Leben auf dem Mond vor, konfrontiert ihn mit irdischen Vergnügungen. Als er seine Töchter immer noch nicht freigibt, wird er mit Likör betört und in einem eigens für ihn eingerichteten Mond durch Musik, Blumen und Tänze verwirrt. Erst als das Spiel in eine ironische Farce kippt, ihm sein Diener Cecco als Mondkaiser gegenübertritt, Lisetta als Mondkaiserin und Flaminias Liebhaber Ernesto als Abendstern Hesperus, gehen ihm die Augen auf.

Schließlich kommt es zum Happy End. Cecco und Lisetta, Ernesto und Flaminia, Ecclitico und Clarice werden ein Paar, Buonafede muss ordentlich Mitgift zahlen. Angesichts der vorgegaukelten Mondwunder ist der begeisterte Hobby-Astrologe aber ohnedies schon zur Einsicht gelangt, dass man künftig nur so leben soll, wie auf der Welt des Mondes: mit Großzügigkeit und in Freiheit. Und dass es nicht nur eine Wahrheit gibt.

Altersweise präsentierte sich auch Harnoncourts spannungsreich-differenzierte Interpretation. Sie zielte nie auf den äußeren Effekt, sondern stets auf die intimen Töne dieser selbst in den komischen Momenten von Nachdenklichkeit bestimmten Partitur. Allein welche Pianissimi Harnoncourt seinem mit gewohnter Spielfreude vorzüglich agierenden Concentus Musicus Wien an diesem Abend, den der ORF mitschnitt und zeitversetzt ausstrahlte, entlockte, war betörend.

Idealer Klangteppich

Nicht minder, welchen idealen Teppich er seinen Darstellern legte. Voran dem auch durch höchste Akrobatik begeisternden Buonafede von Dietrich Henschel. Bernard Richter als umtriebiger Ecclitico, die koloraturengewandte Vivica Genaux als subtil mitspielender Ernesto, Markus Schäfer als wandlungsfähiger Cecco, Maite Beaumont als bodenständige Lisetta, Christina Landshamer als vitale Clarice und Anja Nina Bahrmann als ruhigere Flaminia komplettierten die Solistenriege. Herbeigekarrt in ihr listreich erkämpftes Eheglück wurden Buonafedes Töchter übrigens auf einer Liftschaukel der Axamer Lizum.

Dominiert wird die Szene (Renate Martin und Andreas Donhauser) von einer die Drehbühne geschickt nutzenden, in die Höhe des Bühnenraums reichenden Stahlkonstruktion, aus der sich die einzelnen Schauplätze unterschiedlich entwickeln. Bei allen sich darauf tummelnden Requisiten und dem technischen Gerät lässt diese Realität und Täuschung bewusst verschränkende Wunderlandschaft aber genügend Raum, damit Regisseur Tobias Moretti die von Wirrnissen nicht freie Geschichte klar und anschaulich erzählen kann.

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