Mit nüchternem Blick

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Keiner, der in die Kamera lächeln würde. Alle Porträtierten zeigen sich mit mehr oder weniger ernstem Gesichtsausdruck. Gewiss, das ist nur ein Detail auf den Fotos von August Sander, welche gerade zusammen mit Bildern des Malers Wilhelm Leibl in der Ausstellung "Von Mensch zu Mensch" zu sehen sind. Doch dieses Detail fällt auf Anhieb auf, da es für unsere Augen so fremd ist. Heute, in Zeiten der beliebten Selfies, der von sich selbst gemachten Aufnahmen, ist gerade das Gegenteil angesagt. Das breite Grinsen in die Kamera.

Warum dieser verhaltene Gestus in den Menschendarstellungen, die Sander (1876-1964) vor gut hundert Jahren zum Teil auch in Linz machte, wo der gebürtige Deutsche am Beginn seiner Karriere ein Fotostudio führte? Mehrere Gründe sind dafür anzuführen. Erstens erforderte der technische Stand der Fotografie damals noch längere Belichtungszeiten und zwang damit den Porträtierten zu einem tendenziell starren Ausdruck. Zweitens orientierte sich die Fotografie noch an der Tradition der Porträtmalerei, mit dem Ideal einer erhabenen Darstellung. Und drittens gehörte größtmögliche Sachlichkeit zum künstlerischen Programm von Sander.

Gerade im letzten Punkt war er sich eins mit Wilhelm Leibl (1844-1900). Nichts verschönern, das Leben so zeigen, wie es ist, auch das war das zentrale Anliegen des in Köln geborenen Malers, der später nach München ging. Für manche war Leibl laut Ausstellungs-Audioguide der "größte Bildnismaler seit Rembrandt", für viele dürfte er allerdings noch heute ein unbeschriebenes Blatt sein, aus dem einfachen Grund, da er zeitlebens kompromisslos seinen Weg ging, den Weg der unbedingten Authentizität.

Aufmerksamer, unaufgeregter Gestus

Sander und Leibl sollen sich nie begegnet sein, obwohl sie fast ein Vierteljahrhundert zur gleichen Zeit in Köln lebten. Die Ausstellung in Salzburg holt dies nun gewissermaßen nach. Eine Gegenüberstellung beider Künstler wäre zu deren Lebzeiten auch kaum denkbar gewesen, dafür waren nach damaligem Verständnis Malerei und Fotografie zu weit voneinander entfernt. Das eine galt als hehre Kunst, das andere bloß als Handwerk. Ein Urteil, unter dem nicht zuletzt Sander litt. Eine seiner frühen Arbeiten, ein Selbstporträt (1912), ließ er noch in Edeldrucktechnik ausarbeiten, die dem Bild einen malerischen Ausdruck verlieh. Später wechselte er zum Gelatinesilberabzug und bekannte sich damit zur Stärke seines Genres, die darin bestand, ein getreues Abbild der Wirklichkeit liefern zu können -mochten auch manche gerade darin einen Makel sehen.

Die Ausstellung, gemeinsam konzipiert vom Wallraf-Richartz-Museum und der Photographischen Sammlung Köln, zeigt, dass Maler und Fotograf in unterschiedlichen Sujets - Porträts, Innenräume, Landschaft - zu recht ähnlichem Ausdruck fanden. Hier wie dort der aufmerksame, unaufgeregte Gestus. Doch sie verweist auch auf einen zentralen Unterschied. Der Maler kann mit ein paar Pinselstrichen störenden Hintergrund im Dunkel verschwinden lassen, und gerade das tat Leibl gerne.

Ähnlich frei in seiner Arbeit ist der Fotograf nicht. Seine Bildwelt ist vorgegeben, es ist die ihn umgebende Wirklichkeit. Gewiss kannte der Fotograf auch schon vor Aufkommen von Photoshop Mittel und Wege, ein Bild entsprechend seinen Vorstellungen zu "manipulieren". Aber nur in begrenztem Rahmen. Und so musste auch Sander schon im Moment der Aufnahme größte Aufmerksamkeit auf die Komposition legen. Studioleinwand oder realer Hintergrund? Wohin mit der Hand des Porträtierten? In den Schoß oder in die Hüfte? Einer seiner Porträtierten gab er eine Zigarette in die Hand, was ihr, zusammen mit einem Bubenschnitt, einen besonders kühlen und lässigen Ausdruck verlieh.

Sander lichtete den Maler Otto Dix und den Tenor Leonardo Armesco ab, aber nicht nur die Großen und Berühmten, sondern auch einfache Leute, Bauern seiner Umgebung. Zeitlebens arbeitete er, Sohn eines Grubenzimmermanns, an einer fotografischen Bestandsaufnahme aller sozialen Schichten, am "Antlitz der Zeit". Einst war das Porträt in Öl ein Privileg der Reichen und Vornehmen, die Fotografie öffnete es auch für die weniger begüterten Menschen. Noch ein Detail, das die Ausstellung zeigt.

Von Mensch zu Mensch. Wilhelm Leibl &August Sander Salzburg Museum, Neue Residenz, Kunsthalle bis 5. Jänner, Di-So 9-17 Uhr www.salzburgmuseum.at

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