Mit Schubertlied in den Himmel

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Beide Teile von Goethes "Faust" in Klagenfurt: Ein zerquälter Grübler in einer skurrilen, actionreichen Inszenierung.

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Beide Teile von Goethes "Faust" in Klagenfurt: Ein zerquälter Grübler in einer skurrilen, actionreichen Inszenierung.

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Es ist noch gar nicht so lange her, daß der zweite Teil von Goethes "Faust" als unaufführbar galt. In den siebziger Jahren wagte man sich doch daran, eine der gelungensten Inszenierungen schuf Christa Pöppelreiter in Graz. Nun aber spielte man in Klagenfurt beide Teile an einem Abend, ein Unternehmen von fast sechs Stunden Dauer. Da Martin Kusej wegen Terminschwierigkeiten absagen mußte, holte Intendant Pflegerl die Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Regisseur Michael Gruner stellt dieses Summum Opus der deutschen Literatur auf die Bühne.

Ganz zeitgeistig wird der Schauplatz in die Gegenwart verlegt, mit Mülltonne und Rauschgiftsüchtigen als Blocksberg, einem Luxusauto als Auerbachs Keller. Die kahle , schwarz ausgeschlagene Bühne (Peter Schulz) ist mit wenigen Requisiten bestückt, die Kostüme (Gabriele Sterz) legen sich auf keine Epoche fest. Im ersten Teil des Abends überwiegt die Aktion - besser gesagt: action - den Text. Kein Vorspiel auf dem Theater, die Erzengel kommen auf Stelzen in Seidenkleidern und erinnern dennoch an Giotto.

Jürgen Hartmanns Faust ist ein zerquälter Grübler, so introvertiert, daß man seine pianissimo gesprochenen Monologe kaum versteht. Als junger Mann wird er lebhaft, ein eiskalter Egoist in den Niederungen des Lebens. Mephisto ist eine Doppelrolle, was nicht recht einzusehen ist. Eckart von der Trenck gibt einen zynischen, grundschlechten Kerl. Sein alter ego gestaltet Daniel Graf und wird zum interessantesten Charakter des Abends. Sein Mephisto ist eine mehrfach gebrochene Gestalt: schwankend zwischen Mann und Frau, Bote der Realität und des Numinosen, böse mit leiser Trauer über das unwiederbringlich verlorene Paradies. Sprechtechnisch ist er das an diesem Abend unerreichte Glanzlicht. Louisa Stroux ist als schlichtes, herzlich liebendes Gretchen diesem Ansturm des Bösen nicht gewachsen.

Im zweiten Teil des Werkes sollte die Sprache, die Vermittlung von Gedanken dominieren. Das geschieht aber nicht. Die action wird mühsam, die Orgie bei den Hexen ist eifrig bemüht, keine Hemmungen zu haben, auch das Pflichtstück des Regietheaters, die Herren im Pissoir, fehlt nicht. Immer wieder aber gibt es Szenen von packender Skurrilität, etwa wenn der Countertenor Uwe Stickert als Endymion unter Absingung einer Barock-Arie entschwindet, oder die Hofgesellschaft zur Klavierbegleitung ein Melodram aufführt.

Daß der religiöse Gehalt des "Faust" möglichst vermieden wird, versteht sich in dieser Inszenierung von selbst. Gretchen fleht nicht im Dom zur Gottesmutter, sondern in einen Kinosaal, zum Schluß erscheint keine Maria Egyptiaca, und das ewig Weibliche wird buchstäblich hinangezogen: Ein Seil hebt Gretchen in die Höhe, wobei sie ein Schubertlied singt. Urteil einer Dame im Publikum: "Meinem Sohn wird diese Inszenierung gefallen. Er fürchtet sich schon so sehr, daß er dieses langweilige Stück in der Schule lesen muß".

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