Mit Steinen baut man keine Biographie

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Der Schweizer Peter Bichsel hat mit "Cherubin Hammer" eine eher schwierige philosophische Parabel geschrieben.

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Der Schweizer Peter Bichsel hat mit "Cherubin Hammer" eine eher schwierige philosophische Parabel geschrieben.

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Jeder Mensch hat eine Lebensgeschichte, die wenigsten haben eine Biographie. Bei Peter Bichsel hat die Hauptfigur seiner Geschichte beides.

Die Originalgeschichte von Cherubin Hammer ist in die Anmerkungen verbannt und die Person wird vom Autor dazu genötigt, ihren Namen für die Geschichte eines durchschnittlichen Mannes zur Verfügung zu stellen, dessen Gedanken darum kreisen, wie sich sein Leben in einer Biographie ausnehmen würde. Ein mißglückter Dichter, von dem die Frau zwar zum Sohn sagt, daß der Vater schreibe, wenn er sich in sein Zimmer zurückzieht, der aber höchstens einen Lyrikband veröffentlicht hat und von seinen Tagebüchern immer nur die Überschrift schreibt. Nur selten hatte dieser Cherubin Hammer das Gefühl, "daß er in seinem Leben saß", meist lebte er daneben her. Sein Motto oder die Verdammnis, die über ihm hängt: "Es gibt Leute, die werden durch Schweigen unsichtbar, und was sie tun, hinterläßt keine Spuren".

Weil dem so ist, trägt er jeden Tag einen Stein auf den Berg. So baut man aber auch nicht an einer Biographie, auch wenn der Haufen beachtlich wird. Die Geschichten zwischen dem echten, dem Cherubin Hammer der Fußnoten, der sich mit allerlei Geschäften über Wasser hält, eingesperrt wird, von einer Berta tatsächlich geliebt wird und des ordentlich erzählten Cherubin Hammer kreuzen sich, haben aber so gut wie nichts miteinander zu tun. Fast könnte man meinen, daß die Geschichte des Schweizers Peter Bichsel nur ein gefinkeltes Spiel um des Spielens willen ist. Das Verschwinden im Schweigen, die schweizerische Krankheit, scheint wieder ausgebrochen, und tatsächlich, der Prototyp dieses Verschwindens taucht wenige Seiten später wirklich auf: Robert Walser, als Erwähnung zumindest. Der Vater Hammers, ein Theaterkritiker, hat mit ihm korrespondiert. Doch nicht nur dieser Bezug auf Walser, diesen stillen und dadurch unendlich tiefgründigen Dichter, hindert daran, über Bichsels Geschichte einfach hinwegzugehen.

Vieles läßt sich in dieser Geschichte für den Rezensenten nicht entschlüsseln: eine philosophische Parabel mit viel Geröll, das zu durchsteigen mehr als mühsam ist, und auf dem Gipfel ist keine Gewißheit in Sicht. Doch die Gedanken, wie verläuft ein Leben, wann bleibt Zeit, um zu leben und die Frage, wie soll man leben, die hängen wie dunkle Wolken über den Bergen, drohend und manchmal mit etwas Sonnenschein und viel Ironie dazwischen. Cherubin Hammer findet die Antwort nicht. Als er in Pension geht, hat er Angst davor, "jetzt ein Berggänger, ein Schriftsteller, ein Botaniker werden zu müssen", Beschäftigungen, die für ihn wichtig waren, für die er sich jedoch zu wenig Zeit genommen hat. Als er begann, "zu Hause schon ein bißchen zu wohnen", stirbt seine Frau Rosa, die ihm zeitlebens im Weg stand und ihm nun fehlt. Mit all seiner Bildung, seinem Wissen, seinen Zitaten über die Zerstörung Trojas, bleibt er doch allein. Zu einem richtigen, vollen Leben hat ihm diese Bildung nicht verholfen. Während die Geschichte in den Fußnoten keineswegs so prosaisch und ohne Zwang abläuft, ein Leben für eine Biographie leben zu müssen, sind wir auch hier nicht mit einem idyllischen Glück konfrontiert, aber zumindest eine Ahnung davon bleibt.

Cherubin Hammer und Cherubin Hammer. Roman von Peter Bichsel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999. 109 Seiten, geb., öS 248,-/e 18,02

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