Mitten ins Theaterherz getroffen

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Matthias Kaschig inszeniert "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone" am Wiener Volkstheater. Die Geschichte des Autisten Christopher bereitet zwei supergute Theaterstunden.

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Matthias Kaschig inszeniert "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone" am Wiener Volkstheater. Die Geschichte des Autisten Christopher bereitet zwei supergute Theaterstunden.

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Für einen superguten Tag braucht es fünf rote Autos, nicht mehr und nicht weniger, gelbe Autos bringen nur Schwierigkeiten. Christopher Boone hat klare Vorstellungen von der Welt, Zahlen schaffen Ordnung, Menschen nur Chaos. "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone" erzählt in Tagebuchform die Geschichte eines autistischen jungen Mannes. Autor Mark Haddon braucht dazu keine Sentimentalitäten, er deckt mit scharfem Blick Beziehungsstrukturen und nur allzu Menschliches auf. Genau hier setzt Matthias Kaschigs gelungenes Regiedebüt am Volkstheater an, so wird aus dem vermeintlichen Coming of Age Drama eine unprätentiöse Sozialstudie, die sich nicht scheut, auch Widersprüche in Szene zu setzen. Erfolgsdramatiker Simon Stephens hat den Roman 2006, drei Jahre nach der Veröffentlichung des Bestsellers und kurz nachdem Brad Pitt sich bereits die Filmrechte gesichert hatte, zum Theatertext umgearbeitet.

"Supergute Tage" beginnt als Detektivgeschichte, Haddon zitiert dazu bereits im Originaltitel Sherlock Holmes: "The Curious Incident of the Dog in the Night-Time". Und auch auf der mit einer Wand aus blauen Würfeln gebauten Bühne hat sich der harsche Mordfall gleich zu Beginn ereignet. Wellington, der Hund der Nachbarin, liegt mit einer Mistgabel durchstochen im Garten. Komödienspezialist Matthias Mamedof als Christopher Boone fasst sogleich den Beschluss, den Mörder zu finden. Damit setzt er eine Kette an Ereignissen und Erkenntnissen in Gang, die den Krimi schnell ins Dramatische kippen lassen. Christopher entdeckt nicht nur den Mörder seines Lieblingshundes, sondern auch Beunruhigendes über seine eigene Familie und kann sich zum Schluss zu Recht fragen: "Heißt das, ich kann alles?"

Kaschig versteht es, sowohl die Innensicht des autistischen Jungen als auch die Hilflosigkeit und Verstörung seiner Mitmenschen glaubhaft zu inszenieren. Die gewitzte Bühneneinrichtung und die phantasievollen Videoprojektionen bringen Schwung in die Erzählung, bisweilen verlässt sich Kaschig etwas zu sehr auf diese Spielereien und lullt sein Publikum streckenweise in ein Wohlfühltheater ein. Brüche und Dissonanzen im Spielverlauf zeigen sich aber ebenso, und hier vertraut Kaschig zum Glück ganz auf sein wundervolles Ensemble.

Zwischen Liebe und Verzweiflung

Mamedof und Annette Isabella Holzmann als seine Lehrerin sind ein wenig gar lieb, dafür darf Claudia Sabitzer in verschiedenen Rollen, von der betrogenen Nachbarsfrau bis zur tattrigen Alten, aus ihrem großen Repertoire an Charakterauslotungen schöpfen, Thomas Bauer macht sogar als Golden Retriever eine gute Figur, Martina Stilp als tot geglaubte Mutter Christophers schafft es, Herzlichkeit und puren Egoismus zu vereinen. Den stärksten Eindruck hinterlässt aber Patrick O. Beck als überforderter Alleinerzieher, der zwischen Liebe und Verzweiflung changiert. Menschen mit Asperger Syndrom nehmen die Welt auf andere Art wahr: Während Gefühle aller Art leicht zur Bedrohung werden können, sind komplexe Zahlenrätsel für Christopher kinderleicht. Kaschig arbeitet mit Humor an diesen Fähigkeiten und Wahrnehmungsverschiebungen, dem Publikum eröffnet sich so ein Raum voll Respekt und Verständnis. In einer flotten und freudigen Inszenierung ohne betuliche Untertöne schafft "Supergute Tage" zum Saisonende des Hauses nochmals zwei supergute Theaterstunden.

Supergute Tage - Volkstheater Wien 18., 24., 26. September

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