Mittler zwischen den Zeiten

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Erst durch die beharrliche Arbeit von Wolfgang Quatember und einem eigens dafür gegründeten Verein wurde die KZ-Gedenkstätte Ebensee geschaffen. Es kommt vereinzelt zu Prostestaktion, doch das Konzept hat sich bewährt: Jährlich besuchen 12.000 Personen die Gedenkstätte und das Museum.

Der Zufall spielte in seinem Fall Regie. Denn eigentlich wollte er nach dem Studium im Journalismus Fuß fassen. Als ihn 1988 der damalige Ebenseer Bürgermeister Rudolf Graf fragte, ob er Interesse habe, an einem historischen Projekt im Rahmen der damaligen Aktion 8000 – ein Jobprojekt für Jungakademiker – mitzuarbeiten, sagte Wolfgang Quatember vorläufig zu. Aus dem Jobprovisorium wurde Berufung. Der heute 48-jährige Historiker und Germanist wurde treibende Kraft bei der Errichtung der KZ-Gedenkstätte Ebensee. Sie ist heute eine der international anerkannten Stätten für die Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Österreich.

Jährlich besuchen rund 12.000 Personen die Gedenkstätte und das Museum der Zeitgeschichte in Ebensee, die an die Ereignisse vor fast 70 Jahren erinnern. Ebensee war das größte KZ-Nebenlager von Mauthausen. Rund 27.000 Häftlinge mussten unter unmenschlichen Bedingungen in diesem Lager diverse Stollen bauen, die ursprünglich die Raketenversuchsanstalt der Nazis von Peenemünde auf Usedom aufnehmen sollten. Von den Stollenarbeitern kamen 8500 ums Leben. Einer dieser Stollen ist heute zugänglich und kann besichtigt werden.

Gemeinde stellte sich spät der Geschichte

Realisiert wurde die Gedenkstätte erst in den späten 1980er Jahren. Die Gemeinde Ebensee hatte viele Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kein Interesse an der Aufarbeitung der Ereignisse und wollte die eigene Vergangenheit lieber totschweigen. Erst 1985, anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung des KZ-Ebensee, organisierten einige engagierte Ebenseerinnen eine Ausstellung über das frühere Konzentrationslager. Bürgermeister Rudolf Graf machte es sich daraufhin zur Aufgabe, die Geschichte Ebensees wahrheitsgemäß zu erzählen. 1987 wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Ebensee und Prato (viele KZ-Opfer stammten aus der Stadt in der Toskana) geschlossen. 1988 erfolgte die Gründung des Vereines Widerstandsmuseum. Ein Stollengang wurde von den Österreichischen Bundesforsten zu Schauzwecken angemietet und zur Gedenkstätte ausgebaut.

Zeitgleich entstand die Idee zur Errichtung eines Zeitgeschichtemuseums, um die Ereignisse im größeren geschichtlichen Zusammenhang erklären zu können. Nach jahrelanger Überzeugungsarbeit, die Quatember in der Öffentlichkeit geleistet hat, konnte das Museum 2001 im ehemaligen Schulgebäude aus dem 18. Jahrhundert eröffnet werden. Kernstück des Museums ist eine Dauerausstellung. Sie ist in die Zeitabschnitte der Ersten Republik von 1918 bis 1934, die Zeit des Austrofaschismus, die Zeit Österreichs im Dritten Reich sowie die Zeit der alliierten Besetzung bis 1955 gegliedert. Die Ausstellung stellt den Aufstieg der NSDAP dar, informiert über Zwangsarbeit im Juden-Lager in Traunkirchen, stellt Biografien von Widerständlern anhand von Text- und Tondokumenten sowie Fotos vor und gibt einen Einblick in die Geschichte des KZ Ebensee.

„Der Nazi-Terror war mitte unter uns“

Für Quatember ist die Arbeit in und für die Gedenkstätte Lebensaufgabe geworden. Er will besonders junge Leute erreichen und sieht sich in erster Linie als Mittler zwischen den Generationen und den Geschehnissen. Klarmachen möchte er den Jugendlichen in erster Linie, dass der Nazi-Terror nicht „irgendwo weit weg in Wien oder Berlin stattgefunden hat, sondern das war mitten unter uns.“ Daher sei es das Gedenken in den Regionen so wichtig. Nur so sei es möglich, die Ereignissen in ihrer Unmittelbarkeit und Alltäglichkeit darzustellen.

Selbst nach Jahren der Aufklärung stößt die Gedenkarbeit in Ebensee auf Widerstände. Dies zeigte ein Vorfall im Frühjahr dieses Jahres, der für internationale Schlagzeilen sorgte. Während der Gedenkfeier für die Nazi-Opfer am 9. Mai skandierten fünf Jugendliche Nazi-Parolen und schossen mit Luftdruckgewehren auf ehemalige Häftlinge, als diese dabei waren, Schülern die Orte ihres Leidens zu zeigen. Die Täter waren zwischen 14 und 16 Jahre alt, laut Polizei „aus vorbildlichem Elternhaus“ und schon gar nicht der rechtsextremen Szene zuzurechnen.

Quatember ist angesichts solcher Vorfälle zornig und gleichzeitig ratlos. Er sieht darin zum einen ein Zeichen der Verwahrlosung von Jugendlichen, deren Eltern und Großeltern ihr Verhalten längst auffallen hätte müssen. Zum anderen empört ihn die Lethargie der Öffentlichkeit und der Behörden. Seit einiger Zeit seien in Ebensee vermehrt rechtsextreme Aktivitäten wie z. B. Schmieraktionen festzustellen und ausländerfeindliche sowie antisemitische Parolen häufiger zu hören. Quatember kritisiert in diesem Zusammenhang, dass rechtsextreme Identifikationsfigur, die in der deutschen Neonaziszene verankert sind, in der Vergangenheit bei Jugendlichen ihre Ideen ungestört propagieren konnten. Immer wieder sei es vor Stolleneingängen im ehemaligen Konzentrationslager zu dubiosen Zusammenkünften gekommen, man habe Lagerfeuer veranstalte und Nazi-Parolen wurden gegrölt. Die Anrainer trauen sich – aus Angst angepöbelt zu werden – nicht einzuschreiten. Seit zwei Jahren wurden im Bereich der KZ-Gedenkstätte und des KZ-Opferfriedhofes immer wieder Plastikkugeln aus Softguns gefunden.

Arbeit gegen das Wegschauen und Dulden

Gerade solche Vorfälle sind für Quatember und seine Mitstreiter/innen Ansporn, um mit ihrer Arbeit weiterzumachen. Sein Kampf gilt besonders den Verharmlosern und Abwieglern. Sie sind es, so Quatember, die es möglich machen, dass die Dinge sich ungehemmt entwickeln. Ihre ewiges Wegschauen, ihr schweigendes Dulden, ihr Nicht-Wahrhaben-Wollen sind Grundlage für Verletzungen und Verbrechen. Dagegen rennt der Mittler zwischen den Zeiten an. Mitunter mit Enttäuschungen, aber stets mit der Hoffnung, dass seine Gedenkarbeit nicht vergeblich ist.

* Die Autorin ist Publizistin und Kommunikationsstrategin in Salzburg und Wien

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