Modernes Theater: Schauspiel brut

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Im November ist es ein Jahr her, dass die wichtigsten Wiener Mittelbühnen, Schauspielhaus und brut, unter neuer Leitung eröffneten. Zeit für eine Bilanz.

Beide sind sie Ergebnis der Theaterreform, die sich vehement gegen verkrustete Strukturen in der Wiener Theaterlandschaft wandte. Denn gerade in Wien - jener Großstadt, die sich in ihrer Geschichte in der Konkurrenz zu anderen Städten immer wieder neu behaupten musste und dies stets erfolgreich über ihr Image einer Theatermetropole schaffte - war der Mangel an innovativeren Theaterformen, die auch für ein junges Publikum attraktiv sind, offenkundig. Sowohl mit dem Schauspielhaus als auch mit dem brut ist Wien an jüngere Ästhetiken anschlussfähig geworden.

Mit dem Schauspielhaus unter Andreas Beck verfügt die Stadt gar über ein Theater, das im deutschsprachigen Raum ohne Vergleich ist. Was größere Häuser sich bestenfalls auf den Probebühnen erlauben, ist hier Programm: ein ganz dem Zeitgenössischen verpflichteter Spielplan. Das Schauspielhaus versteht sich als "Autorentheater", was zweierlei meint: einerseits die Förderung junger Dramatiker, die als Hausautoren oder in Schreibwerkstätten die Gelegenheit bekommen, mit Schauspielern, Dramaturgen und Regisseuren die Bühnentauglichkeit ihrer Entwürfe zu überprüfen. Diese Allianz von Autor und Regisseur in der Stückentwicklung bedeutet eine konsequente Einbindung der Dramatiker in den künstlerischen Gesamtprozess Theater. Das ist im deutschen Sprachraum einzigartig. Andererseits geht es darum, auch dem Regisseur als Urheber der Inszenierung einen Autorenstatus zuzubilligen. Für den Zuschauer ist es dann allerdings oft schwer zu unterscheiden, was denn nun Stück, was Inszenierung ist. Dennoch: Dies behauptet jene Position, wonach sich szenisches Schreiben erst in der Umsetzung auf der Bühne vollendet.

Verlangen nach dem immer Neuen

Das Schauspielhaus ist also ein Ort, wo der Theaternachwuchs (die Autoren im doppelten Sinne) eine Chance bekommt, wahrgenommen zu werden. Ob ihre Arbeiten reüssieren, bestimmen nicht mehr Dramaturgen allein, sondern die Texte werden zu öffentlichem Material, und letztendlich wird erst auf der Bühne über sie entschieden. Becks Konzept ist gut, und es ist richtig - trotzdem seien einige kritische Fragen erlaubt: Gibt es so viele Jungdramatiker, die nicht nur einfach gut schreiben können, so viele Regisseure, die nicht nur Talent, sondern auch etwas zu sagen haben? Bedient das Schauspielhaus nicht vielmehr ein gnadenloses Verlangen nach dem immer Jungen, dem Neuen? Wie will man auf Dauer der Falle entgehen, Neuheit über inhaltliche Schlüssigkeit, gesellschaftliche Relevanz zu stellen? Und wie viele der Jungdramatiker schaffen es, über ihre Entdeckung hinaus, auf anderen Bühnen nachgespielt zu werden, wenn das werbewirksame und aufmerksamkeitsfördernde Prädikat "Uraufführung" wegbleiben muss?

Thomas Frank und Haiko Pfost vom brut verfolgen ebenfalls die Linie, neue und unter Umständen unbekannte Künstler zu präsentieren, wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen: Neben eigenen (Ko-)Produktionen sind die Aufführungen auf Internationalität, Aktualität und Interaktivität ausgerichtet. Es gibt beinahe an jedem Abend etwas anderes zu sehen, die Projekte könnten unterschiedlicher nicht sein.

Mobilisierung der mittleren Liga

Das brut zieht mit seiner Vielfalt an internationalen Produktionen, etwa der englischen Kult-Avantgarde-Theatertruppe "Forced Entertainment" oder dem Experimentalfilmer und Komponisten Tony Conrad bis hin zum Netzwerk "Freischwimmer" ein buntes, vor allem junges Publikum an. Nicht zuletzt sind hier auch österreichische Nachwuchskünstler zu sehen, die die Grenzen innerhalb der Genres aufheben. Performance und experimentelles, postdramatisches Theater stehen nebeneinander.

Aber diese beiden Bühnen sind nicht nur für sich gesehen eine Bereicherung der Wiener Theaterszene, sie mobilisieren auch die anderen Häuser, vor allem in der mittleren Liga, wie Salon 5, das Theater in der Drachengasse oder das TAG. Offenheit und Risikobereitschaft sind schließlich die Voraussetzung für ein lebendiges Theater, das sich nicht unbedingt über bekannte Namen, sondern vor allem über zeitgemäße Erscheinungsformen und Inhalte definiert.

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