Monokulturen der Kunst

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Die Berlinale zeichnet erneut hochrangige, gesellschaftspolitische Filmkunst aus. Dennoch werden die Filme schnell in Vergessenheit geraten.

Es gab eine Zeit, da gewannen etablierte Filmemacher die Goldenen Bären bei der Berlinale. Leute wie Ang Lee, Miloˇs Forman oder Terrence Malick. Diese Zeiten sind lange vorbei. Seit bald zehn Jahren zeichnet dieses Festival vorwiegend Arbeiten junger oder zumindest unbekannter Regisseure aus, die mit ihren Filmen ein Anliegen verfolgen; sie legen gesellschaftspolitische Zustände frei, von denen man in der westlichen Welt wenig weiß; sie legen den Finger in die Wunde, die verletzte Menschenrechte, totalitäre Regimes oder politische Freiheitsberaubung aufgerissen haben.

Nicht umsonst gilt die Berlinale als die politischste aller Filmschauen, und an diesem Status ist maßgeblich ihr Leiter Dieter Kosslick beteiligt, der diesen "Unique Selling Point“ erfunden hat, als er 2001 sein Amt antrat. Der Vorteil: Die zumeist stummen Schreie von Protagonisten aus Problemregionen, von unter Repression leidenden Menschen, gelangen so an eine breite Öffentlichkeit und stehen für ein paar Tage im Rampenlicht. Das Problem dabei: Wenn die Lichter am roten Teppich von Berlin ausgehen, verstummen auch die Preisträger wieder. Kaum jemand sieht sie in unseren Breiten auf den Kinoleinwänden. Manche Filme brauchen ein Jahr, ehe sie ein kleiner Verleih für ein paar Wochen in zwei, drei Kinos bringt. Wenn sie überhaupt einen Verleih finden. Und später? Dann tauchen diese engagierten Arbeiten in den Nachtprogrammen von 3sat und Arte auf, wo sich nun nicht gerade Traumquoten erzielen lassen.

Ist also die Monokultur hochrangiger Arthaus-Produktionen bei der Berlinale am Ende gar kontraproduktiv für ihre Auswertung? 2013 war keine Ausnahme. Wieder erstklassiges Kunstkino, wieder hehre Anliegen, gesellschaftspolitische Missstände aufzuzeigen, und am Ende vermutlich wieder ein Verschwinden der Filme im Nirwana der Wahrnehmung. Dabei sind einige der Filme sogar recht zugänglich: Der Goldene Bär ging nach Rumänien an Regisseur C˘alin Peter Netzer. Der schildert in "Child’s Pose“, wie weit die übertriebene Zuneigung einer Mutter aus der rumänischen Oberschicht zu ihrem Sohn gehen kann: Als er nachts ein Kind anfährt, das kurz darauf stirbt, muss Barbu ins Gefängnis. Seine Mutter Cornelia will die Angelegenheit mit Geld regeln, ein paar Zeugen bestechen und sogar die Eltern des getöteten Jungen kaufen. Netzers sensibel, aber entschlossen gefilmtes Porträt von Rumäniens Reichen kommt einer Analyse des ganzen Landes gleich: Hier offenbart sich, wie das Funktionieren eines Staates aufrecht erhalten wird, mit Bestechung, Korruption und der Macht des Geldes. Es ist ein würdiger Preisträger, aber auch er wird ohne große Öffentlichkeit bleiben.

Prämierte Kriegsfabel

Danis Tanovi´c, immerhin Oscar-Preisträger für seine Kriegsfabel "No Man’s Land“ (2001), wurde für seinen Film "An Episode in the Life of an Iron Picker“ mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Der bosnische Regisseur erzählt darin in bedrückender Dramatik vom wahren Schicksal einer Roma-Familie in Bosnien-Herzegowina, in der die schwangere Ehefrau mit der Diagnose konfrontiert wird, dass das Baby in ihrem Bauch gestorben ist. Allein: Die Familie hat keine Krankenversicherung und der Arzt aus der Klinik weigert sich, sie zu behandeln. Die drohende Katastrophe verdichtet Tanovi´c in seinem 75-minütigen Drama zur Leidensgeschichte einer ganzen, bis heute benachteiligten Bevölkerungsschicht. Laiendarsteller Nazif Muji´c bekam außerdem den Silbernen Bären für den besten Schauspieler. Die beiden Hauptdarsteller spielen in "Iron Picker“ ihre eigene Geschichte nach, was dem Drama zusätzlich Brisanz verleiht.

Für Paulina García, die Hauptdarstellerin aus dem Berlinale-Publikumsliebling "Gloria“, gab es den Preis für die beste Schauspielerin. Sie spielt die 58-jährige, geschiedene Titelheldin in dem Drama des Spaniers Sebastián Lelio, der darin von den Sehnsüchten einer Frau berichtet, die sich gegen Einsamkeit und Depression mit Single-Partys zur Wehr setzt. Diese Auszeichnung ist hoch verdient, keine andere Schauspielerin spielte so sympathisch und einnehmend wie García.

Bester Regisseur wurde der US-Amerikaner David Gordon Green mit seinem rasch und innovativ-lässig gedrehten "Prince Avalanche“, in dem Paul Rudd und Emile Hirsch die Straßenmarkierungen einer Waldstraße erneuern sollen, dabei immer wieder aneinander geraten und sich wieder vertragen. Ein etwas anderes Buddy-Movie, und zudem das Remake des isländischen Films "Either Way“.

Film aus dem Hausarrest

Und dann noch ein politisch motivierter Preis: Jafar Panahi sitzt im Iran fest, unter Hausarrest, und hat eigentlich Berufsverbot. Dabei ist mit "Pardé“ nun schon sein zweiter Film seit dem Verbot erschienen, und diesmal ehrte die Jury unter dem Vorsitz von Wong Kar-wai Panahis Bestreben, seiner Berufung weiterhin nachgehen zu können, mit dem Preis für das beste Drehbuch. "Pardé“, geheim und mit einfachsten Mitteln gedreht, ist ein Film über das Eingesperrtsein, metaphernschwanger und einem Hilferuf gleich. Den Ruf hat man gehört, aber er wird ein paar Tage nach der Berlinale wieder verhallt sein. Die Bären aus Silber und Gold haben zu wenig Strahlkraft, um das zu verhindern.

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