Montalban und die Gefahr des Vielschreibens

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Sein jüngster "schwarzer Roman" legt die Frage nahe, ob der Autor von 90 Büchern ausgebrannt ist oder überschätzt wird.

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Sein jüngster "schwarzer Roman" legt die Frage nahe, ob der Autor von 90 Büchern ausgebrannt ist oder überschätzt wird.

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Jetzt wird er also sechzig, der berühmteste Krimiautor Spaniens: Manuel Vazquez Montalban. Zeit für eine Bilanz. Den Anlaß bietet sein neuester in deutscher Sprache erschienener Roman: "Das Quartett". Montalban wurde 1939, am Ende des Bürgerkrieges, im Arbeiterviertel Raval in Barcelona geboren. Den Vater sah er erst, als er schon fünf Jahre alt war: Er hatte auf der Verliererseite gekämpft, die Franco-Leute sperrten ihn auf Jahre ein. Der Junge wird Kommunist, engagiert sich bei einem Streik an der Universität Barcelona und wandert selbst für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Bei der Amnestie anläßlich eines Papstbesuches kommt er frei, arbeitet als Journalist, steigt bald zu Berühmtheit auf. Er lebt in jeder Hinsicht exzessiv. Montalban berichtet, daß er täglich bis zu 18 Stunden schreibe. Das Ergebnis: fast ein Herzinfarkt und über 90 Bücher aller Gattungen, Gedichte, Essays, Kochbücher, Anthologien, historische Werke, zum Beispiel über Franco, Reiseführer, Studien zu den neuen Medien.

Der große Durchbruch, auch international, gelang ihm mit seinen "novelas negras". Über 20 "schwarze Romane" gibt es bisher, in denen der bekannteste spanische Privatdetektiv Pepe Carvalho sein kauziges Wesen entfaltet. Die Krimis sind bereits in 24 Sprachen übersetzt. Der Autor zeichnet Pepe Carvalho als anarchistisches Original. Zum Anfachen des Feuers in seinem Kamin verwendet er Bücher. Hier leistet sich Montalban süße Rache an Autoren, die ihm unsympathisch sind, denn er nennt die Verfasser der zu verheizenden Bücher unmißverständlich.

Sein Engagement für die politische Linke wurde ihm nach Francos Sturz reichlich gelohnt, er bekam die meisten spanischen Literaturauszeichnungen, auch den höchstdotierten Preis, den Premio Planeta mit über 400.000 Schilling. Carvalho dient Montalban dazu, ein neues Lebensgefühl zu beschreiben, eine neue kapitalistische Gesellschaft voll Konkurrenz. Bis heute hat er auch mit einer Kolumne in der spanischen Tageszeitung "El Pais" ein Sprachrohr.

Hat er zuviel geschrieben? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre des neuen Romans "Das Quartett". Zwei Paare und ein Mann, der Ich-Erzähler. Eine Mordgeschichte, die mit dem Satz beginnt: "Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine." In perfekter Enthüllungstechnik wird eine Generation der noch nicht Vierzigjährigen geschildert, reich, unabhängig, blasiert, dumm aber schön.

In ihr süßes Nichtstun, ihre erotischen Spielchen, ihre luxuriösen Reisen bricht der Tod ein. Eine der beiden schönen Frauen wird ermordet, das Quartett zerbricht. Erst wandert der Ehemann ins Gefängnis, dann der zweite des Quartetts, der Liebhaber der Toten. Der Lack blättert ab: Alles Feine, Vornehme erweist sich als Tünche. Schließlich bringt sich der Ehemann im Gefängnis um, das übriggebliebene Paar beschließt, sich auf einer Reise zu erholen, auf der auch Nachkommenschaft gezeugt wird. Erzählt wird dies aus dem Blickwinkel eines Mannes, der zunächst als Freund der vier auftritt: erhöhter Standpunkt sozusagen. In welchem Verhältnis er zu den vieren steht, das bildet die analytische Ebene des Romans. Ist er, Architekt mit Sammelleidenschaft für schöne Dinge, der Mörder? Montalban läßt den Schluß offen - ein unbefriedigendes Ende. Was aber noch viel mehr stört, ist die gelehrte Geschwätzigkeit. Vieles hat man schon zu oft gehört, etwa: Frau ist Vampir. Das gewinnt nicht an Glaubwürdigkeit durch seine Banalität.

Ist Montalban von Geld und Erfolg korrumpiert worden? War ihm die Ideologie nur nützlich, um aufzusteigen? Ist er ein Zyniker, der den Massengeschmack bedient? Ausgebrannt? Fragen an jene, die ihn überschwenglich feiern.

Das Quartett Von Manuel Vazquez Montalban, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998 112 Seiten, geb., öS 218,

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