Mord zur Zauberflöte

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Deutsche Wirklichkeiten sind unterschiedlich, Ost und West noch längst nicht eins. Und an Vergangenheit gibt es noch einiges aufzuarbeiten, erzählt Ulrich Woelks jüngster Roman.

Deichlandschaft im Norden Deutschlands, Herbstmorgen im Nebel. Pfarrer Arnold Gnaatz joggt über die feuchten Marschwiesen. Da hört er Opernmusik aus einem Haus, dessen Bewohner er nicht kennt und der nun auch auf sein Klingeln hin nicht öffnet. Dem Pfarrer, der das Haus betritt, bietet sich ein schrecklicher Anblick: hier ist jemand brutal hingerichtet worden.

Diesem Anfang, der einen spannenden Kriminalroman verspricht, hat der Autor geschichtliche Daten vorangestellt: Fakten, die den Lesern signalisieren, dass es sich wohl um ein politisch motiviertes Verbrechen handelt. Woelk erwähnt die Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juli 1967, während der Proteste gegen den Staatsbesuch des Schahs. Zur Zeit der Ermordung saß das persische Herrscherpaar in der Oper und lauschte der Zauberflöte. Am 5. September 1977 wurde Hanns-Martin Schleyer entführt und sechs Wochen später ermordet. 1989 fiel die deutsche Mauer und 1990 wurde die "Vereinigung der beiden deutschen Staaten vollzogen".

Ulrich Woelk wagt sich in diesem Roman - darauf verweisen die vorangestellten Daten - an die deutsch-deutschen Wirklichkeiten und schreibt über die Unversöhntheit des vereinten Deutschland, über Vergangenheitsbewältigungen, über Träume und Enttäuschungen von Ost und West. Ein Terrain, das er nicht als erster Schriftsteller betritt.

Weil das vorliegende Buch aber kein Geschichtsbuch über die deutsche Trennungs- und Vereinigungsgeschichte ist, sondern ein Kriminalroman, werden in der Folge - nach dem Auffinden des Ermordeten - fiktive Fälle die Wirklichkeit bereichern. Fiktiv sind auch die beiden Ermittler, die allerdings für bestimmte Typen stehen: Der Polizist vom Ort, der 40-jährige Kommissar Anton Glauberg, und die um 10 Jahre jüngere BKA-Beamtin Paula Reinhardt, ihrerseits bestens informiert über die Vergangenheit durch gründliches Aktenstudium.

Die beiden stehen für die zwei Welten, die nicht recht zusammen kommen können: er ist im Westen groß geworden, hat zwar ab und zu Berliner WG-Luft geschnuppert, ist aber nie politisch geworden, sondern hat immer nur zugesehen. Zu anderen Zeiten, an anderen Orten könnte er wohl einen guten Mitläufer abgeben. Ein durchschnittlicher Wessi also. Sie ist eine Ost-Geschädigte oder versteht sich zumindest als solche. Die nun im Westen als Beamtin der BKA Gerechtigkeit herzustellen sucht.

So unterschiedlich das politische Herkommen auch ist, so sehr es auch Konsequenzen für die Ermittlungsweisen hat: beide, Reinhardt und Glauberg, sind - wie sich herausstellen wird - durchaus von privaten Motiven getrieben. Was den Kriminalroman spannender macht und die erschriebene Welt "echter": Denn beruhen Gewaltverbrechen nicht viel häufiger auf privaten Ursachen wie Rachsucht, Verletztheit, Eifersucht?

Doch zunächst weist alles auf ein politisches Gewaltverbrechen hin: Nachforschungen ergeben, dass der Tote im Umfeld der RAF tätig war, sich später in die DDR absetzte, nach seiner Festnahme im Westen mit der Bundesanwaltschaft kooperierte und über die Führunsgsstruktur der RAF aussagte und danach unter falschem Namen zurückgezogen in jenem Haus im Norden Deutschlands lebte, in dem er eines Morgens ermordet aufgefunden wird.

Die Personen, die von den Ermittlern im Verlauf der Handlung befragt und unter die Lupe genommen werden, stehen für die unterschiedlichsten Weisen, mit der Vergangenheit umzugehen. Ob sie nun von ihrer ehemaligen Funktion als Parteifunktionär noch immer überzeugt sind oder aus ihrer einstigen WG-Mitgliedschaft (im wahrsten Sinn des Wortes) Kapital schlagen: hier kommt das Panoptikum jener Positionen zum Vorschein, die man zu Ost und West und zu seinen Mitmenschen einnehmen kann.

Dass Mozarts "Zauberflöte" schon im Vorwort-Hinweis Woelks auf Benno Ohnesorgs Ermordung im Jahr 1977 auftaucht und dann in des Pfarrers Ohr dröhnt und damit die Handlung einleitet, verdeutlicht die wichtige Rolle dieser Oper im Roman. Sie ist nicht nur ein Schlüssel für die Ermittler zur Klärung der Motive des Mordes, sondern auch für den Leser, um wiederum die Motive der Ermittler zu erspüren. Wünscht sich Paula eine klarere Darstellung dessen, wer oder was gut oder böse ist, und ist ihr die "Zauberflöte" in dieser Hinsicht zu verworren, liegen in Glaubergs Sicht Gut und Böse mitunter nah beieinander. Das ist wohl auch eine der Hauptaussagen, die den Leser durch den Roman begleitet und natürlich immer und überall Geltung hat, andererseits nicht wirklich eine neue Erkenntnis ist, wenngleich meist zu wenig beachtet. In diesem Zusammenhang vielleicht noch nebenbei zu erwähnen: beide, die Ostermittlerin und der Westermittler, nehmen es mit der Wahrheit nicht genau.

Woelks Personen sind als Sprachrohre all jener Meinungen, die man landauf, landab zu der deutsch-deutschen Problematik zu hören bekommt, konstruiert und tragen - so etwa der Vorwurf von Barbara von Becker in der Frankfurter Rundschau - als Prototypen ihre "kompositorisch vorgestanzte Etikette" brav durch die Handlung. Diese Konstruiertheit ist nicht immer vom Klischee zu unterscheiden und kann auch auf die Nerven gehen. Sprachlich ist der Roman nicht perfekt und er ist wohl auch nicht der kunstvollste aus Woelks eigener Werkstätte. Unbestritten ist er aber spannend konstruiert und wird schon deshalb seine Leser finden. Und das Thema, das er aufgreift, ist und bleibt brisant und aktuell.

Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, 1990 für sein Romandebüt "Freigang" mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet und mit seinem jüngsten Roman "Liebes-paare" als Sezierer gesellschaftlicher Wirklichkeiten aufgefallen, hat das Erscheinen seines Romans gut gewählt: 25 Jahre nach dem Jahr 1977, dessen traurigen Tiefpunkt die Entführung und Ermordung Hanns-Martin Schleyers bildete, ergänzt er die historischen Fakten durch gelungene Fiktion und lenkt dabei wieder den Blick auf die Fakten, die meist nicht so eindeutig zu beurteilen sind, wie man es manchmal gerne möchte.

DIE LETZTE VORSTELLUNG

Roman von Ulrich Woelk

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, 303 Seiten, geb., e 20,50

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