Morde im Namen der Ehre

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Im Orient zahlen immer noch viele Frauen einen hohen Preis für die Aufrechterhaltung uralter Traditionen.

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Im Orient zahlen immer noch viele Frauen einen hohen Preis für die Aufrechterhaltung uralter Traditionen.

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Als Majid, Palästinenser aus dem westjordanischen Ramallah, von einer Tagesreise heimkehrte, erzählten ihm die Nachbarn, sie hätten einen Freund seines Schwagers mit seiner Frau in seinem Haus gesehen, die Eingangstür geschlossen. Wutentbrannt holte Majid einen Strick, zog ihn um den Hals der vermeintlich "Untreuen". Die Frau atmete immer noch. So stieß er sie vom Dach des zweistöckigen Hauses, und um ganz sicher zu sein, schleuderte er noch einen Stein auf ihren Kopf.

"Sie fürchtete sich und versuchte, uns zu entkommen", berichtete Ali der jordanischen Polizei. Nachdem Yasmin zweimal von der Familie weggelaufen war, fesselte Ali seine 16jährige Schwester und ließ sie in der Mitte der Straße liegen. Dann holte er sein Auto und fuhr mehrmals über den Körper des Mädchens.

Zutiefst erbost, daß sie von seinem jüngeren Bruder vergewaltigt worden war, schlitzte der 32jährige Ayed seiner 16jährigen Schwester Kifaya den Hals auf.

Als ein jordanischer Teenager seine behinderte Schwester vor den Augen seiner Eltern erstach, brach die Familie in traditionelles Freudengeheul aus. Der Junge hatte ihre "Ehre" gerettet. Der Tod des Mädchens, sagte der Vater, gleiche der Amputation eines Fingers, und er weigerte sich, Beileidsbezeugungen entgegenzunehmen.

In ihrem Büro der "Jordan Times" in Amman erfährt Rana Husseini regelmäßig von derartigen Morden. Die junge Journalistin führt eine mutige Kampagne gegen diese uralte blutige Tradition, die ungeachtet der Entwicklung und Modernisierung der Gesellschaft im Königreich immer noch fortlebt. Ihre Pionierrolle trägt ihr heftige Attacken aus erzkonservativen Kreisen ein, die sie des Einsatzes für hemmungslose sexuelle Freiheit und Prostitution bezichtigen. Rana Husseini aber ist entschlossen, einen wichtigen Anstoß zu einem dringend nötigen Umdenkprozeß zu leisten. Die jordanische Polizei meldet jährlich an die 30 Fälle von "Ehrenmorden". In Wahrheit dürfte nach Einschätzung Husseinis die Zahl mindestens doppelt so hoch liegen. Oft werden diese traditionellen Bluttaten als Selbstmorde oder Unfälle verschleiert.

Reinwaschen der Familienehre Das Reinwaschen der Familienehre mit Blut stammt aus dem Gewohnheitsrecht der Beduinen und Bauerngesellschaften im Vorderen Orient. Diese brutale Praxis wird bis heute - außer in Jordanien und Palästina - etwa auch in Teilen Ägyptens, Syriens, auf der Arabischen Halbinsel und im Iran angewendet. In dem tausend Seelen zählenden Younin, in der libanesischen Bekaa-Ebene, berichtet die 75jährige Maha von 200 Frauen und Mädchen, die im Laufe ihres Lebens in diesem Dörfchen zur Rettung der "Ehre" der Männer ihr Leben lassen mußten. Durch die türkischen Medien zog sich vor etlichen Monaten der Fall Gonul Aslans aus der südanatolischen Provinz Sanliurfa. Weil sich seine Tochter geweigert hatte, den von ihm erwählten Mann zu heiraten, versuchte der Vater das Mädchen zu erwürgen und stieß es anschließend in den Euphrat. Doch wie durch ein Wunder erhob sich Gonul aus den Fluten unverletzt.

Die Geschichte dieser über Generationen am Leben erhaltenen Barbarei reicht weit in die vor-islamische Zeit zurück. Die Sexualität jener Epoche, stellt die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi fest, "wird in der arabischen Literatur als chaotische und zügellose Promiskuität beschrieben, die das Wesen der Selbstbestimmung von Frauen ausmacht, deren Freiheit, ihren (oder ihre) sexuellen Partner zu wählen und wieder von sich zu weisen, und die den biologischen Vater sowie die väterliche Legitimität zur völligen Bedeutungslosigkeit" verdamme. Belastet von solcher Überlieferung, weckt nach Ansicht Mernissis der Gedanke sexueller Selbstbestimmung "häufig uralte Ängste vor der Neubelebung dieser mythischen, vor-zivilisatorischen Frau, die dem Mann jegliche Initiative, Kontrolle und alle Privilegien verwehrt. Die islamische Gesellschaft lehrt Männer nicht, die Frauen durch Liebe für sich zu gewinnen, diese Männer sind schlecht gerüstet, um es mit selbstbewußten Frauen aufzunehmen; daher die weitverbreitete Angst und Ablehnung gegenüber der Idee der Gleichberechtigung."

Und Mernissi setzt fort: "Die islamische Ehe stützt sich auf die Überzeugung, daß die soziale Ordnung nur aufrechterhalten werden könne, wenn das gefährliche Potential der Frauen für Chaos durch einen dominierenden, nicht liebenden Ehemann unter Kontrolle gehalten wird. Auf diesen Vorstellungen ruht die Angst vor der Zerstörung der traditionellen islamischen Familie. Diese Ängste, die in der Kultur durch Jahrhunderte der Unterdrückung von Frauen fest verankert sind, werden heute genährt durch die ebenso entwürdigenden Bilder westlicher Sexualität und ihrer die Familie zersetzenden Verhaltensnormen." So mag es verständlich erscheinen, wenn moslemische Väter und Ehemänner der Gedanke, daß ihre Familien- und Sexualtraditionen durch westliche verdrängt werden könnten, in tiefen Horror versetzt.

Hinzu kommt der vor allem unter arabischen Männern stark ausgeprägte Begriff der Ehre. Seit vorislamischen Zeiten pflegten Beduinenstämme in der Wüste einander zu überfallen. Wenn es den Angreifern gelang, die Frauen zu verschleppen und zu mißhandeln, versetzten sie damit der Ehre der attackierten Männer einen besonders schweren Schlag. In streng traditionalistischen Gesellschaftskreisen des Orients wachen bis heute die Männer über die Tugendhaftigkeit der Frauen, wobei die Jungfräulichkeit ihrer Töchter und Schwestern als Symbol der Männer-Ehre gilt. Nach uraltem Brauch läßt sich die schwere Schande, mit der die (vermeintlich) Unmoralische ihre Familie besudelt hat, nur durch Blut sühnen. Betrügt eine verheiratete Frau ihren Ehemann, dann steht nach der Tradition dem Vater der Untreuen das Recht zu, diese durch Steinigung zu töten. In der Praxis beauftragt etwa in Jordanien immer wieder der Familienrat einen minderjährigen Bruder mit dem "Ehrenmord", da Jugendliche in den Genuß einer milden Korrekturstrafe gelangen, in einem Rehabilitationszentrum ihre Ausbildung fortsetzen dürfen und mit 18 Jahren ohne Vorstrafe freigelassen werden.

Täter als Helden Die Gemeinschaft feiert die Mörder häufig als "Helden". Jordanische Soziologen beobachteten, daß die Frauen einer Familie oft mit dem Mord an ihrer Tochter oder Schwester einverstanden sind. "Leider", betont eine Aktivistin, "wird den Mädchen seit Generationen die Überzeugung eingeimpft, daß sie immer die Schuldigen sind, und daß sie nicht nur für ihr eigenes Vergehen, sondern auch für jenes anderer mit ihrem Leben bezahlen müssen." In Wahrheit verbirgt sich nach Ansicht von Soziologen unter dem Begriff der "Familienehre" nichts anderes als die absolute Kontrolle der Männer über die Frauen. Da in traditionellen, konservativen Gesellschaftskreisen "Ehrenmord" als gerechtfertigt gilt und dem Täter vielfach Sympathie entgegenschlägt, wenden Richter üblicherweise besonders mildernde Umstände an. In Jordanien, im Libanon oder anderswo übersteigt die Höchststrafe meist kaum drei Jahre. In der Regel wird der Mörder nach drei bis sechs Monaten wieder freigelassen. Umgekehrt gilt solche Milde für Frauen nicht, die ihren Ehemann bei einem Akt der Untreue ertappen und töten.

Die Tradition des "Ehrenmordes" stützt sich keineswegs auf islamisches Recht (Sharia). Experten auf diesem Gebiet weisen energisch darauf hin, daß auch der Islam diese Art von Morden ohne Gerichtsverfahren nicht duldet. Laut Sharia kann Ehebruch nur dann mit dem Tode bestraft werden, wenn die Tat in einem ordentlichen Gerichtsverfahren durch vier Augenzeugen erwiesen ist.

Familienmörder verzichten häufig überhaupt auf Beweise, wetzen ihre Messer gegen die scheinbar unmoralische Frau allzuoft nur auf Verdacht. "In vielen Fällen", meint Husseini, "sind die Frauen unschuldig."

In den traditionellen Gesellschaften des Orients ist diese Praxis von einem dichten Schleier des Geheimnisses und der Scham umhüllt. In Jordanien etwa, wo das Königshaus sich intensiv um eine aufgeklärte Politik, um Bildung und Modernisierung bemüht, wagen die Behörden es dennoch nicht, diesem brutalen Unwesen zu Leibe zu rücken. Dieser Umstand macht es den wenigen Aktivisten äußerst schwierig, einen Umdenkprozeß einzuleiten.

Jordanische Soziologen fürchten, daß die Fälle von "Ehrenmorden" zunächst noch zunehmen werden, bevor diese Praxis langsam ausstirbt. "Der starke soziale Wandel in unserer Gesellschaft führt zu radikalen Reaktionen", betont ein Experte. "Immer mehr Mädchen genießen Schul- und Universitätsausbildung, gehen zur Arbeit. Sie sind dabei in einer Weise dem Umgang mit Männern ausgesetzt, wie ihn die traditionelle Gesellschaft bisher nicht duldete."

"Die Veränderung", meint die prominente Politikerin Leila Sharaf, "muß vor allem von den Frauen selbst ausgehen. Wir müssen Interessengruppen bilden und massiven Druck auf die Behörden ausüben." Vorerst bleiben solche Aktionen auf einige wenige Mutige beschränkt.

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