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Musikalisch exzellent: Schönbergs "Moses und Aron" an der Wiener Staatsoper.

Allen, die noch immer Vorbehalte gegen Werke der Zwölftontechnik hegen (und nicht nur diesen), sei der Besuch der Wiener Staatsoper wärmstens empfohlen: das Haus hat mit seiner letzten Neuproduktion in dieser Saison, mit Arnold Schönbergs immense Anforderungen stellendem "Moses und Aron", glänzend den Beweis erbracht, wie ungemein unmittelbar ein Werk dieser Kompositionsart wirken kann. Zum einen ist dies das große Verdienst von Daniele Gatti am Pult des exzellent musizierenden Staatsopern-Orchesters: er sorgte nicht nur für eine präzise, in den Klangwirkungen hervorragend ausgefeilte, vielschichtige musikalische Realisierung voller Intensität und Spannung, er zeigte auch, welche Klangschönheiten in dieser Musik stecken. Gleiches gilt für das musikalisch souverän agierende, hervorragende Kollektiv aus Chor und Zusatzchor der Wiener Staatsoper und Slowakischem Philharmonischem Chor, geleitet von Janko Kastelic und Norbert Balatsch, dem ehemaligen Chorleiter der Staatsoper, der "Moses und Aron" bereits 1973 für die letzte, bis 1989 gespielte Staatsopern-Produktion einstudiert hatte.

Zweiter großer Pluspunkt der Produktion ist die hervorragende Besetzung der zentralen Rollen: Franz Grundheber gestaltete den in Rhythmus und Tonhöhe festgelegten Sprechgesang des Moses mit stimmlicher Profundität, Intensität und beispielhafter Wortdeutlichkeit, während Thomas Moser als Aron die seiner Partie abverlangten Höhen zwar nicht ohne kleinere Einsteifungen, dennoch aber mit großer Souveränität, klarer Stimmgebung und ebenfalls sehr textbezogen durchmaß. Wenn zu dieser Besetzung etwas anzumerken ist, dann höchstens die persönlichkeitsbedingte Wirkung: Moses, der Denker, Sinnbild der abstrakten Idee, wirkte in der Gestalt Grundhebers wesentlich autoritärer, präsenter und mehr in seinen Bann ziehend als Aron, der Vermittler der Gedanken seines Bruders, der im Grunde doch der unmittelbarere sein sollte, in der Gestaltung Mosers aber etwas distanziert blieb.

Grundkonflikt des thematisch aus dem Alten Testament schöpfenden Werks ist der philosophische Gegensatz zwischen divergierenden Auffassungen der Gottes-Erkenntnis, zwischen Gedanke und Wort, Idealismus und Materialismus - ohne eindeutig Position zu beziehen. Zumindest in den abgeschlossenen Teilen: Schönberg brach die Komposition auf einen eigenen Text nach dem zweiten Akt ab, ohne in den verbleibenden 19 Jahren seines Lebens das Werk zu komplettieren. Selbst hatte er vorgeschlagen, den nur textlich fertigen dritten Akt sprechen zu lassen (in der Wiener Erstaufführung 1960, als Gastspiel der Städtischen Opern Berlin, wurde dieser Idee Folge geleistet), in der Regel bringt man heutzutage aber nur den auskomponierten Teil zur Aufführung und sieht ihn längst als vollendet an. Regisseur des handlungsarmen, zuerst als Oratorium geplanten Werks war Reto Nickler, dem vorab ein besonderes Kompliment ausgesprochen werden muss, übernahm er doch die Inszenierung äußerst kurzfristig für den aus gesundheitlichen Gründen ausgefallenen Willy Decker bei Weiterverwendung des bereits fertiggestellten Bühnenbildes von Wolfgang Gussmann. Nickler brachte kein antiquiertes Bibeldrama auf die Bühne, er suchte in seiner Realisation vielmehr Anleihen in der heutigen konsumorientierten Zeit, wenn etwa Aron seine Wunder mittels TV-Bildschirmen verdeutlicht oder das "Goldene Kalb" als sinnentleerte Society-Party in der Kombination von Schönheitssymbolen, Tierschlachtungen, Opernball-Impressionen und Schönheits-OPs Krassheit nicht scheuenden Filmzuspielungen dargestellt wird. Man erlebte im ganzen eine sinnvolle, in vielen Szenen dichte Realisation, freilich aber auch von passagenweise Tiefe vermissen lassender, etwas hilflos und mehr exekutiert als durchdrungen anmutender Wirkung. Einem großen Abend der Wiener Staatsoper tat dies dennoch kaum Abbruch: allgemeiner Jubel galt Solisten, Chören, Orchester, Dirigent und dem szenischen Produktionsteam. Folgevorstellungen bis 19. Juni - man sollte sie sich nicht entgehen lassen!

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