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Warum Mozart nicht gläubig sein musste, um große geistliche Musik zu schreiben.

Das Leben herausragender Persönlichkeiten im Schatten der Kathedralen und im Umkreis von Kirchenfürsten könnte man etwa so umschreiben: Es ist schwer, in der Nähe des Heiligtums den Glauben zu bewahren. Aus der Entfernung können Rituale und Liturgien, Hierarchen und geistliche Funktionäre durchaus eindrucksvoll wirken. In der Nähe zeigen sich jedoch die menschlichen Schwächen und Ungereimtheiten. Mozarts Leben - in den ersten 25 Jahren im engen Kreis der Kirche und im letzten Dezennium in großer Distanz zu ihr - ist ein Beispiel für die Schwierigkeit, im Dunstkreis des Heiligen fromm und gläubig zu bleiben.

Um es knapp auf den Punkt zu bringen: Fast alle geistlichen Kompositionen schrieb Mozart in seiner Zeit als - heute würden wir sagen - Kirchenangestellter. Bis zu seinem Bruch mit dem herablassend-herrischen und eitel-diktatorischen Fürsterzbischof von Salzburg war er in dessen Diensten (und unter seinem freundlich-moderaten Vorgänger) ein untergeordneter Dienstbote. Der auf erfolgreichen Reisen andernorts reichlich erhaltene Beifall galt bei seinem letzten Dienstherren wenig. Kirchenmusik schrieb Mozart in dieser Zeit als Teil seiner Dienstpflichten - übrigens nach kleinlichen Regeln über die zulässige Dauer der einzelnen Stücke im Ablauf einer Liturgie, die nicht durch unnötige musika lische Darbietungen verzögert werden sollte. Vieles davon war Routinearbeit - professionell geschrieben und routiniert aufgeführt.

Frei von der Kirche

Ganz anders in den zehn Jahren des Wiener Aufenthalts bis zu seinem Tod: Aus dem angestellten Hof-und Kirchenmusiker war ein freischaffender weltlicher Komponist, Virtuose und Lehrer geworden, der Kirchen nur mehr aufsuchte, um Geld zu verdienen. In dieser Zeit entstand kaum Kirchenmusik - allerdings das Wenige zugleich vom Feinsten: zwei Fragment gebliebene Messen (die große Messe in c-moll und das Requiem in d-moll) und das kleine Chorstück zur Verehrung der Eucharistie, das berühmte "Ave verum". Die erste Messe verdankt sich angeblich einem Gelübde, die zweite - eine Totenmesse - dem Auftrag jenes berüchtigten Grafen Walsegg, der es als eigenes Werk ausgeben und aufführen wollte. Das "Ave verum" - eine spirituelle Miniatur von höchstem Rang und in seiner Art einmalig in Mozarts Werk - schrieb Mozart für einen befreundeten Kirchenchorleiter aus Baden bei Wien.

Um ein Fazit zu ziehen, das manche Freunde seiner Kirchenmusik enttäuschen mag: Aus eigenem Antrieb schrieb Mozart kaum geistliche, sondern fast ausschließlich weltliche Musik. Das hatte seinen guten Grund auch darin, dass Mozart - außer in seiner Kindheit - kein frommer, oder wenigstens praktizierender Katholik war, sondern bestenfalls ein im katholischen Milieu großgewordener und mit der kirchlichen Obrigkeit zerfallener "Taufscheinchrist" (wie man heute sagen würde). Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern bedeutete zwar keine zwangsläufige Religionsfeindlichkeit (immerhin gab es auch Kleriker in diversen Logen), aber eine große Nähe zu Religion und Kirche ist beim erwachsenen Mozart nicht auszumachen. Derartige Briefstellen finden sich lediglich in Beschwichtigungsbriefen an den streng religiösen Vater.

Zuletzt in einem Brief, den Mozart seinem erkrankten Vater knapp zwei Monate vor dessen Tod schrieb: "So habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, dass er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als den wahren Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie zu Bette ohne zu bedenken, dass ich vielleicht - so jung als ich bin - den andern Tag nicht mehr sein werde. Und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre. Und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie vom Herzen jedem meiner Mitmenschen."

Bewusstsein vom Tod

Wolfgang Hildesheimer hat in seinem klugen Mozartbuch darauf hingewiesen, das solche Texte eher Mozarts Sorgen um den Vater als seine eigene Frömmigkeit belegen. Doch gerade dieser Brief - 1787, also vier Jahre vor Mozarts Tod - erzählt zugleich vom Ableben eines gräflichen Freundes, der gerade ebenso alt gewesen war wie Mozart selbst. Die Passage über das Bedenken des eigenen Sterbens hat also autobiografisches Gewicht. Wenn man bedenkt, dass von Mozarts sechs Kindern nur zwei überlebten, wenn man überhaupt weiß, dass damals der Tod im alltäglichen Bewusstsein stärker verankert war und dass ein plötzlicher Tod beim damaligen medizinischen Standard bedrohlicher empfunden wurde als vielleicht heute, dann versteht man Mozarts "memento mori". Und vielleicht kann man so die Dramatik des anonymen "grauen Boten", der beim kränkelnden Mozart eine Totenmesse bestellt, nachfühlen.

Unter der pflichtgemäß komponierten Salzburger Kirchenmusik findet sich neben manchem routiniert und professionell Hingeschriebenen auch Höchstwertiges - wie etwa die kleine "Missa solemnis" in C (kv 337), die "Vesperae solennes de Confessore" (kv 339 mit dem bekannten "Laudate Dominum") oder die Marienmotette "Exsultate, jubilate" (kv 165 mit dem berühmten "Alleluja"). Doch stehen die genannten drei Werke der Wiener Zeit - davon zwei nur als Fragmente, das dritte in lapidarer Kürze - abseits der Kirchenroutine fast wie persönliche Bekenntnisse Mozarts da. Sie verdanken sich keinem Dienst, höchstens dem der Freundschaft. Sie erfüllen keine Pflicht, höchsten die Pflicht zu authentischer Kunst. Der nun schon lange selbständige Künstler, der sich dem feudalen und hierarchischen Dienst entzogen hat, schreibt sein Requiem nicht als festangestellter und besoldeter Kirchenmusiker, sondern als freischaffender Künstler für den mysteriösen "grauen Boten" und für sich selbst. Und allenfalls noch für "seinen Gott", der nun nicht mehr ein Gott der geistlichen und weltlichen Fürsten, sondern ein Gott aller Menschen sein darf, zumal der Leidenden und Sterbenden.

Sensibel für die Liturgie

Der heutige Hörer seiner Kirchenmusik versteht vielleicht seine persönliche Ergriffenheit als Beleg für Mozarts Glauben und Frömmigkeit. Manche sehen sogar in Mozarts singulärer Kunstfertigkeit so etwas wie einen musikalischen Gottesbeweis. Man kann jedoch alles auch ein wenig schlichter sehen: Der höchst einfühlsame Opernkomponist bewies seine Sensibilität nicht nur auf der Opernbühne, sondern auch in jener Liturgie, die wie ein barockes Gesamtkunstwerk das religiöse Lebensgefühl seiner Zeit ausdrückte. Bühnenmusik für die kirchliche Bühne des Gottesdienstes - könnte man es nennen. Um das redlich und authentisch mit hoher Kunstfertigkeit zu vollbringen, muss man kein praktizierender Katholik sein. (Man muss nicht einmal gläubig sein - die Musikgeschichte kennt hervorragende Kirchenmusik von glaubensfernen Komponisten.) Es genügt zu verstehen, worum es geht und sich darin einzufühlen, so gut man kann.

Diese Überlegung schmälert übrigens keineswegs den spirituellen Wert der geistlichen Musik Mozarts. Der Komponist soll ja nicht beweisen, wie gut er glaubt, sondern er soll darstellen, worum es im Glauben geht. Es mag zwar desillusionieren, aber muss auch einmal gesagt werden: Es gibt sehr viel schlechte Kunst sehr gläubiger Künstler (etwa der Nazarener, Cäcilianer und Historisten des 19. Jahrhunderts). Aber es gibt auch sehr gültige Kunst der Zweifler, der Aufrührer und der Ungläubigen. Das sei auch jenen gesagt, die Mozart mit seinen Schwächen, Amouren und Obsessionen, als Spieler und Verfasser unfeiner Brief "enttäuschen" mag: Sie selbst unterliegen der Täuschung, dass vor Gott nur das Vollkommene und Fehlerlose bestehen kann.

Der Autor ist Seelsorger, Musiker und Schriftsteller in Linz.

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