Mozartkugel-Aktionismus

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Der auf Spektakel und Events fixierte Kulturbetrieb ist zur Verhübschung der Freizeit und zur Touristenfalle verkommen.

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Der auf Spektakel und Events fixierte Kulturbetrieb ist zur Verhübschung der Freizeit und zur Touristenfalle verkommen.

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Daß zwischen der Hotelbettenauslastung und den Terminen der Sommerfestivals nicht nur in Österreich Zusammenhänge bestehen, ist aus jeder statistischen Rasterfahndung abzulesen. Die Kultur im weitesten Sinne des Begriffes ist ja auch eines der Hauptmotive für den touristischen Besuch unseres Landes. Das hat zu der bekannten spektakulären Ausweitung des Kulturangebots vor allem in der Fremdenverkehrssaison geführt. Und wo immer neue Initiativen entstehen und die Kostenfrage in den öffentlichen Gremien diskutiert wird, kommt der Obmann oder Kulturreferent nicht umhin, auf die sogenannte Umwegrentabilität des Vorhabens hinzuweisen. Ein Mozart-Konzert erhöht eben den Absatz von Mozartkugeln und ein "Open Air" rentiert sich auch in Form von Parkgebühren und Getränkesteuern. Die Hochrechnung beherrscht mittlerweile jeder Gemeinderat.

Dazu kommt, daß die "Public Relations" längst keine Geheimwissenschaft von Werbemanagern mehr sind. Image und Bekanntheitsgrad als Marktfaktoren gelten nicht nur für Zahnpasta und Waschpulver, sondern auch für Gemeinden und Standorte. Ein bestimmter Kulturfaktor kann geradezu zur touristischen Qualitätsmarke werden und die anderen Eigenschaften eines Ortes überstrahlen. Die in Österreich bekanntesten Beispiele sind Bad Ischl oder Salzburg. Orte ohne solche Kulturtraditionen blicken zumindest im Tourismus neidvoll auf solch gefestigte Images. Die entsprechenden Bewohner, die sich manchmal nur mehr als Statisten auf ihrer Kulturbühne vorkommen, kämpfen dann auch gegen die Vereinnahmung und kritisieren das Image als Klischee. Dies vor allem dann, wenn die "Umwegrentabilität" nachzulassen droht.

Bis zu einem gewissen Grad stülpt sich das Kultur-Image sogar über ganz Österreich. Die Japaner und Amerikaner, die hierzulande nur mehr den "Sound of Music" erwarten und jeden Älpler für einen Schirennläufer oder einen Jodler halten, sind selbst leider kein Klischee. Daß Österreich zwar seine großen Musiker ehrt, spielt und hört, aber sein Bruttosozialprodukt hauptsächlich aus der Industrie erwirtschaftet, ist eine Tatsache, die selbst in der Meinungsmache der europäischen Integration Schwierigkeiten bereitet. Auch daß in dem traditionellen Musikland der Schwerpunkt der gegenwärtigen Kreativität in anderen Sparten liegt- wie zum Beispiel Literatur, Theater, Design -, dringt zu wenig ins Image-Bewußtsein.

Nach wie vor aber träumen und hoffen bisher kaum bekannte Orte durch Kulturveranstaltungen ins ersehnte Licht der Öffentlichkeit zu treten. Wenn die Umwegrentabilität sich schon nicht gleich in barer Münze niederschlägt, so soll das riskierte Defizit wenigstens als Image-Werbung zu verbuchen sein. Werden die beim Symposium teilnehmenden Maler, Dichter oder Töpfer berühmt genug sein, um die "Seitenblicke" des Fernsehens zu interessieren? Wird der Rundfunk das "Open Air" übertragen und die Ausstellung mittelalterlicher Bierhumpen und Gebetbücher im Heimatmuseum auf den Kulturseiten und in der Fachpresse Aufmerksamkeit erregen? Wird die Stiftung und Verleihung eines Kulturpreises prominente Politiker zum Besuch veranlassen? Sogar Polarisierungen der regionalen Kulturverständnisse können medial fruchtbar sein. Hermann Nitsch ist allemal für überregionale Aufregung gut und daß er in Rauris nicht die pfarrliche Orgel spielen durfte, hat zum Bekanntheitsgrad mehr beigetragen als die ganze Literatur der 27 Literaturtage.

Die Zusammenhänge des Kulturbetriebes mit dem Fremdenverkehr und der Image-Werbung sind also evident und fruchtbar. An diesem österreichischen Ornament wird allenthalben mit Zustimmung und Erfolg gearbeitet. Vorschneller und zynischer Kritik ist zunächst entgegenzuhalten, daß es ohne den dargestellten Zusammenhang die Entwicklung dieses breiten Kulturhumus und damit den Anlaß zur Kritik gar nicht gäbe. Denn in einem Lande ohne nennenswerte Privatmäzene kann nur der Kultur-Aktionismus mit allen seinen Nebenerscheinungen die materiellen Voraussetzungen schaffen. Die pure Kultur ohne ihre Verflechtungen in Umweg-Betriebsamkeit hätte wenig Unterstützungs- und Publikums-Chancen.

Auf zwei wesentliche Punkte der Kritik, die sehr ernst sind, ist einzugehen. Erstens hat der lebhafte Kulturbetrieb eine neue Kaste der Vermittler und Manager hervorgebracht, die es teilweise verstanden hat, sich vom Kuchen öffentlicher oder erlöster Mittel ein größeres Stück abzuschneiden als die eigentlichen Künstler. Die Organisationen blühen, während die Kreativen darben. Die Reproduzierenden gedeihen, während die eigentlichen Schöpfer fast hungern. Die Vermittlung der Kultur, das Kurbeln im Kulturbetrieb, ist jedenfalls einträglicher als das Hervorbringen der kulturellen Werte.

Das ist nicht nur ein österreichisches, sondern überhaupt ein künstlerisches Schicksal. Die gegenwärtige Kulturpolitik versucht dem mit wechselnden Geschick gegenzusteuern. Aber es ist bekanntlich wesentlich schwieriger, mit Jurys, Satzungen und der Wissenschaft Qualitätskriterien für künstlerische Schöpfungen festzulegen, als etwa an Besucherzahlen, Umsätzen und Umwegrentabilitäten Erfolge des Kulturbetriebes zu quantifizieren. Aus diesen Gründen kann der Kulturbetrieb seinen materiellen Vorsprung leichter halten.

Zweitens - und diese Kritik geht tiefer - ist grundsätzlich nach dem Sinn einer Kultur zu fragen, die mit ihrer Betriebsamkeit immer mehr veräußerlicht. Es ist nämlich zu bezweifeln, ob der aktionistische Boom in den Menschen, die ihn als Gäste oder Einheimische frequentieren, noch das bewirkt, was Kultur bewirken soll. Die pathetische Forderung nach einer Veredelung des Menschen durch die Kunst ist ohnehin längst aufgegeben. Aber die Forderung, daß Kunst, auch wenn sie im Kulturbetrieb erscheint, wenigstens mehr Toleranz, mehr Menschlichkeit, mehr Nachdenklichkeit und auch eigene Kreativ-Fähigkeiten wecke, kann nicht unbedingt als erfüllt gelten. Kunst im Gegensatz zur Ideologie soll vermitteln, daß es nicht nur die eine und eigene Wahrheit gibt. Kunst soll auch vermitteln, daß wir alle schuldbeladene Menschen sind und Egoismus und Egozentrik keine brauchbaren Haltungen sind. Wieviel davon hat der Kulturbetrieb bisher bewirkt? Selbst Schock-Erlebnisse und harte Dokumentationen bringen zwar Diskussionen in Gang, aber Veränderungen des Bewußtseins erzielen sie nur sehr zögernd.

Bleibt also nur das Vertreiben oder die hübsche Gestaltung der zunehmenden Freizeit? Bleibt nur die Rotation der geistigen Mozartkugel zur Freude des Fremdenverkehrs? Bleibt nur die Spektakel-Befriedigung zur Beruhigung eventueller anarchischer Regungen? Wie einst die Religion ein neues Opium fürs Volk? Und all das am Vorabend eines neuen Europa, eines Wirtschafts-Europa im Westen, eines Hoffnungs-Europa im Osten?

Kann der Kulturbetrieb, über seine materiellen und organisatorischen Verflechtungen hinaus, wenigstens zu dem neuen Friedens- und Gemeinschafts-Bewußtsein beitragen? Kann er die Fremdheit überwinden, auch anknüpfend an nachbarliche geistige Verbundenheiten, die es in Europa schon einmal gab und die dieses Europa gebildet und gebaut haben?

Die Kulturpolitik steht vor solchen Aufgaben und Fragen. Denn nur damit ist einer Sinnkritik zu begegnen, nur damit ist auch der Aufwand zu rechtfertigen. Der Kultur-Optimismus, den es auch gibt, der in vielen von uns schlummert, muß stärker in uns erwachen. Ein gemeinsames Ziel lohnt die Anstrengung.

Der Staat oder eine Staatengemeinschaft kann keine Kultur anschaffen. Er kann anregen und fördern und er kann dabei der Sinnfrage mehr Raum geben. Damit der Kulturbetrieb nicht wie ein umtriebiger Manager auf einen Infarkt zutreibt, sondern der Kunst wirklich dient und den Menschen Europas Halt und Hoffnung gibt.

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