Werbung
Werbung
Werbung

Ein Gespräch mit dem Philosophen Rudolf Burger über die umstrittene Otto Muehl-Ausstellung des Museums für angewandte Kunst.

Die Furche: Herr Burger, ist die Muehl-Ausstellung eine erste Retrospektive für einen großen, bedeutenden Künstler oder ist das bestkalkulierte PR im Wiener Museumskampf?

Rudolf Burger: Ich halte Muehl weder für einen großen Künstler, noch halte ich das für einen besonders geschickten PR-Gag. Ich bin dafür, dass man so eine Ausstellung macht. Ich würde die Frage der Legitimität einer solchen Ausstellung von den moralischen Fragen einmal vollkommen abkoppeln; das hat damit, wie ich meine, sehr wenig zu tun. Ich halte aber die Sachen für ästhetisch vollkommen uninteressant. Ich sehe sie als Dokumente einer zurückliegenden Aktion - so etwas lag damals in der Luft. Aber die haarsträubende Dummheit dieser Geschichte war auch damals schon zu sehen. Und wo die Dummheit Grade erreicht, dass das Gespräch nicht mehr möglich ist, da steigt ihre Bedeutung als Phänomen. Und darum soll man es auch als Phänomen dokumentieren.

Und dann frage ich mich: Was soll Peter Noever eigentlich sonst ausstellen? Der ganze Kunstbetrieb ist heute weitgehend tot. Er ist Teil der Unterhaltungsbranche, wo mit vollkommener Beliebigkeit einzelne Elemente teilweise aus der zeitgenössischen, teilweise aus historischen Kunstepochen herausgehoben werden, prominent gemacht werden, in kürzester Zeit wieder verschwinden. Diese mediale Aufregung, die jetzt drei oder vier Tage in den Zeitungen herrscht, ist in einer Woche wieder vorbei, und die Sache ist erledigt.

Die Furche: Was aber doch nicht vorbei sein wird, ist die Wiederentdeckung des Aktionismus.

Burger: Ich habe zum Aktionismus nie eine besondere Beziehung gehabt. Aber wenn man seinen Anspruch damals ernst genommen hat, dann ist das, was heute geschieht, sein mehr oder minder stilles Begräbnis. Es ging ja genau um das Gegenteil. Schon die frühen Avantgarden - der Aktionismus war ja der dritte Aufguss der Avantgarde - waren gegen das Museum, gegen die Musealisierung, gegen die Kunst; sie haben sich als Anti-Künstler verstanden. Heute baut man für sie Museen oder man stopft sie hinein, auratisiert sie mit der Musealisierung selber. Ich habe Arbeiten von Muehl am Friedrichshof gesehen, als sie noch gelagert waren: Da ist es eben, was es ist - da ist es Müll. Und zwar teilweise tatsächlich auch intentional, das ist ja gar kein Vorwurf. Er hat ja Müll gemacht. Aber wenn Sie diesen Müll in den White Cube eines Ausstellungsraumes stellen, dann auratisieren Sie ihn. Dann machen Sie ihn zu einem Zeitdokument und verleihen ihm nachträglich noch ein gewisses Transzendenzpotenzial: als Widerstand gegen die Gesellschaft oder was weiß ich.

Die Furche: Es gibt ja eine Tradition von Künstlern, sich Müll anzueignen und in Kunst zu transformieren.

Burger: Nein, der Künstler transformiert gar nichts. Transformiert wird er durch einen Diskurs - durch das Zusammenspiel von Künstlern, Kuratoren, Autoren in Katalogen, teilweise der Politik, der Journalistik und des Publikums, das dabei weitgehend entmündigt wird. Es ist ein Diskurssystem, das diese Transsubstanziation herstellt. Denn es ist eine Transsubstanziation.

Die Furche: Gibt es da tatsächlich nur Müll, oder ist unter den frühen Muehl-Bildern aus den sechziger Jahren etwas dabei, wo man sagen kann: Das ist von dem, was eben in der Zeit auch in unserem Wiener Umfeld passiert ist, etwas Bleibendes?

Burger: Es wird immer wieder die Frage gestellt: Kann man den Aktionismus als Praxis, kann man die Kommune-Bewegung, die Entwicklung der Kommune, die hier eine zentrale Rolle gespielt hat, von seiner bildnerischen Arbeit, von ihm als Künstler trennen? Es gibt große Beispiele aus der Kunstgeschichte, die moralisch verwerfliche Figuren, Verbrecher, Mörder waren - und die große Künstler waren: Caravaggio, Cellini (der Schöpfer der "Saliera"). Aber weder Cellini noch Caravaggio haben beansprucht, durch ihre soziale Praxis Künstler zu sein, sondern sie waren es durch die Artefakte. Aber diese Trennung, die sie selber gemacht haben, ist mit den Avantgarden - das beginnt spätestens mit dem Futurismus - programmatisch aufgehoben worden. Und jetzt wird ein Doppelspiel gespielt: Auf der einen Seite haben sie den Übergang von der Kunst ins Leben zum Programm erklärt und ihre Existenzweise als künstlerische Totalität gesehen; und die Bilder selbst waren nur ein Moment dieser Totalität. Wenn sie dann jedoch in Schwierigkeiten kommen, sagt man: Aber sie waren ja Künstler - und verweist auf das bildnerische Werk. Ich bin durchaus der Meinung, dass man den Mord - wie Wainwright im 19. Jahrhundert - zur schönen Kunst erklären kann. Aber dann bitte ich mir Konsequenz aus. Dann ist auch der ganz normale Strafprozess - die strafrechtliche Verfolgung des Künstlers - ein in sich ästhetischer Akt, ein Akt der Kunstkritik. Entweder - oder.

Ich täte Muehl unrecht, wenn ich ihn jetzt nur als Maler oder Zeichner interpretiere. Er selbst verlangt ja die Totalität seiner Aktionen als künstlerisches Werk in der Tradition des Gesamtkunstwerkes zu respektieren. Und die ganze Auratisierung als quasi-mythische Figur lebt doch nicht von diesen Klo-Zeichnungen. Kein Mensch würde sich normalerweise so etwas aufhängen, wenn nicht die ganze Geschichte, die Narration dazugehörte, die Skandalisierung: Was ist da passiert? Was ist da angestellt worden? War das eine große soziale Utopie, und wie ist das umgekippt? Nur davon lebt die Sache.

Die Furche: In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Bewertung des Aktionismus als Ganzen: War das eine wesentliche Bewegung der 60er Jahre und kluge Köpfe wie Günter Brus haben das als Durchgangsstadium erkannt und sich dann verabschiedet - während ein Dummer wie Muehl und vielleicht noch Nitsch glaubt, das wäre weiter ein gangbarer Weg?

Burger: Ob das Fluxus ist, das natürlich an Dada anknüpft, ob es die Phantastischen Realisten sind, die eine familientaugliche Form des Surrealismus dargestellt haben, oder ob es der Wiener Aktionismus ist: Es ist eine zweite Auflage dessen, was in der Zwischenkriegszeit neu, originell und damals wahrscheinlich auch wirklich sprengend war. Das zweite ist: Er war auch die Begleitmusik einer ganzen sozialen Bewegung: Die Situationisten, die Jugendbewegung - ein Befreiungsschlag, der ja weltweit geschehen ist: in Berlin, in Paris, in Wien - es war ein städtisches Phänomen. Aber während in Frankfurt zur gleichen Zeit sehr intensiv theoretische Gedanken angestellt wurden, hat man in Wien in den Hörsaal geschissen. Während die andern mit dem Kopf agiert haben, haben die mit dem Arsch agiert. Und ich muss sagen, ich habe das nie sehr estimiert. Ich habe es banal gefunden, auch damals schon. Der Aktionismus war nicht mehr als die Demonstration von schlechten Manieren in bis dahin kunstfreien Zonen.

Die Furche: Natürlich kann man jetzt die ganze Muehl-Inszenierung - und auch seine Selbstinszenierung - als Teil der Unterhaltungsbranche sehen, wobei er auch auf alte Unterhaltungsformen zurückgreift: Der Künstler als das Genie, der als Bürgerschreck auftreten darf...

Burger: ... der ja keinen Bürger mehr schreckt. Erstens gibt es den Bürger nicht mehr, das läuft alles leer, das ist alles nur mehr eine Inszenierung...

Die Furche: ... ist nur mehr der zum x-ten Mal übertragene Hofnarr...

Burger: ... ohne Hof. Hofnarr ohne Hof, die letzten Ptolemäer, die glauben, die ganze Welt kreist um sie, Egoisten ohne Ego, das ist es. Im Grunde genommen kann man nur mehr darüber schmunzeln. Auch die Vernissage selbst kann man nur schmunzelnd zur Kenntnis nehmen. Noever weiß nicht mehr, womit er auffallen soll, also macht er den Muehl und wird auf einmal zum "Wertebewahrer": Er muss dieses "Kulturgut" des Aktionismus bewahren. Das Publikum auf der Sinnsuche, das klassische Museumspublikum geht dort hin - es ist ja peinlich, dass zur gleichen Zeit dieser scheußliche Dutroux-Prozess läuft, aber das gibt dem Ganzen zugleich auch eine infernalische Aura; es geschieht unter Bewachung von Bodyguards, wie die Zeitungen berichten. Das Ganze ist doch ein harmloses Spektakel, eine Seifenoper als Heldendrama.

Die Furche: Wie soll man dann überhaupt damit umgehen? Vielleicht machen ja wir auch einen Fehler, indem wir darüber sprechen?

Burger: Wir unterhalten uns ja darüber. Wir suchen ja hier nicht irgendeinen Sinn, wir sind ja hier nicht auf der Suche nach einer Transzendenz, wir sind nicht auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Utopie und kränken uns über ihr Scheitern, sondern wir nehmen das ganze als eine Unterhaltung; das füllt die Seiten, natürlich haben Journalisten ein Interesse daran, und das Publikum nimmt das zum größten Teil amüsiert, manche, die das noch nicht ganz durchreflektiert haben, sind vielleicht wirklich empört, und das ist der Betrieb.

Die Furche: Was kann man als Kunstkritiker unter diesen Rahmenbedingungen, unter denen jetzt Kunst zur Unterhaltung verkommt, eigentlich - auch vor dem Hintergrund Muehl - noch tun?

Burger: Nicht dass Sie jetzt Kriterien suchen, die es nicht mehr gibt; oder neu aufstellen oder eine normative Ästhetik vertreten - das ist unhaltbar, das wäre wahrscheinlich reaktionär. Wir erinnern uns dieser Tage nicht nur an den Wiener Aktionismus, sondern auch an den 200. Todestag Immanuel Kants, der in seiner berühmten Schrift "Was ist Aufklärung" sagt: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Unmündigkeit ist die Unfähigkeit, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Ich würde das Publikum dazu einladen, alle Gedanken, die man den Menschen eingeflößt hat, was sie gelesen haben, einmal wegzuschieben und selber zu schauen und dann sich ein Urteil zu bilden. "Denk nicht, sondern schau!" heißt es einmal bei dem großen Aufklärer Lichtenberg.

Das Gespräch führten Hartwig Bischof und Cornelius Hell.

Otto Muehl

Leben / Kunst / Werk

Aktion Utopie Malerei 1960-2000

Museum für angewandte Kunst,

Weiskirchnerstraße 3, 1010 Wien

Bis 31. Mai, Di 10-24, Mi-So 10-18 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung