Müllofen für Zistersdorf

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Positiver Bescheid für die Müllverbrennungsanlage im niederösterreichischen Zistersdorf: Die erste Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Industrieprojekt ist abgeschlossen.

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Positiver Bescheid für die Müllverbrennungsanlage im niederösterreichischen Zistersdorf: Die erste Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Industrieprojekt ist abgeschlossen.

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Seit Sommer 1994 betreibt die "Abfallservice AG" (A.S.A.) in Zistersdorf, einer in Grenznähe gelegenen Gemeinde des niederösterreichischen Weinviertes, das Projekt, eine Müllverbrennungsanlage zu errichten. Ihre Kapazität: jährlich 120.000 Tonnen Abfall. Die Mehrheit der Gemeindevertreter steht hinter dem Projekt, erhofft sich davon die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Eine Mehrheit ergibt auch eine entsprechend vorbereitete Volksbefragung.

Konkret wird die Sache 1996: Die A.S.A. legt eine Umweltverträglichkeitserklärung für die Anlage vor. Nachdem vom Projekt Betroffene dazu Stellungnahmen abgeben haben, wird die Erklärung überarbeitet. Das Ergebnis: Eine Neufassung mit einem Umfang von 26 Ordnern einzusehen in der Gemeinde und der Bezirkshauptmannschaft zwischen neun und zwölf Uhr, Kopien zur vier Schilling pro Seite. Wer Einwendungen gegen das Projekt vorbringen wollte, hatte sechs Wochen Zeit dazu.

Nun werden viele hellhörig, aber eines klar: Bei einem so großen Projekten ist jeder Private überfordert. Selbst die mit 25 Prozent der Stimmen in den Gemeinderat eingezogene Bürgerliste, die sich dem Projekt entgegenstellt, ist mit eigenen Mitteln nicht imstande, sich wirklich einen Überblick zu verschaffen. Experten werden eingeschaltet, eine teure Angelegenheit. Neben viel unentgeltlicher Arbeit steckt nun auch der "Grün-Alternative" Verein 250.000 Schilling für Sachverständigen- und Anwaltskosten in das Verfahren.

Mit diesen Mitteln wird eine Bürgerinitiative unterstützt, die dank einer wichtigen Neuerung im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz Parteienstellung im Verfahren hat. Und das erweist sich als sehr wichtig: Während Privatbeteiligte nämlich nur eigene Interessen geltend machen dürfen, etwa Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit oder ihres Eigentums, können Bürgerinitiativen auch allgemeine Interessen ins Treffen führen, etwa die Gefährdung des Grundwassers oder des Waldes. Im Falle Zistersdorf ist das deswegen wichtig, weil die Gemeinde sich auf der Seite des Betreibers stellt. Insgesamt gibt es in dieser Phase des Verfahrens 600 Einwendungen.

Im April 1999 entscheidet die niederösterreichische Landesregierung über die Umweltverträglichkeitserklärung und die Einwendungen in erster Instanz und sie erlässt, nachdem sie Gutachter herangezogen hatte, einen Bescheid. Dieser erteilt die Genehmigung für die Errichtung und Inbetriebnahme einer Anlage zur thermischen Behandlung von jährlich 120.000 Tonnen Hausmüll und hausmüllähnlichen Abfällen sowie von 10.000 Tonnen Klärschlamm.

Erfolge der Berufung Gegen diesen Bescheid gibt es daraufhin eine Berufung an den Umweltsenat. Und dieser erlässt schließlich im August 2000 einen rechtskräftigen Bescheid, den ersten für ein Industrieprojekt. Er genehmigt das Projekt, gibt aber der Berufung in einigen wichtigen Punkten Recht.

Was dabei erreicht wurde, fasste die Bürgerinitiative "Regionales Forum" vorige Woche bei einer Pressekonferenz zusammen: * Die erlaubte Wasserentnahme aus dem Tiefegrundwasserreservoir wird auf die Hälfte reduziert. Ein digitaler Wasserzähler hat für die Einhaltung der Menge zu sorgen.

* Die Grenzwerte für Luftschadstoffe werden etwa auf die Hälfte reduziert. Im ersten Betriebsjahr muss der Betreiber eigene Immissionsmessungen durchführen. Kontinuierliche Messungen wird es für Dioxine und Furane geben. Bisher hatte man sich bei der Müllverbrennung mit Stichproben begnügt. Damit wurden für Zistersdorf die niedrigsten Grenzwerte festgelegt, die je einer Müllverbrennungsanlage verordnet wurden. Bedenkt man, dass eine solche Anlage 100.000 Kubikmeter Rauchgase pro Stunde ausstößt, wird klar, welche Bedeutung solcher Vorsorge zukommt. Diese Standards werden auch in anderen Anlagen zum Zuge kommen.

* 70 Prozent des zur Verbrennung bestimmten Mülls müssen per Bahn angeliefert werden. Der bei der Verbrennung anfallende Sondermüll muss sogar zu 100 Prozent per Schiene abtransportiert werden.

Der jetzige Bescheid macht die Anlage erheblich umweltverträglicher und relativ teuer. Die Vertreter der Bürgerliste rechnen damit, dass die Betreiber das Projekt möglicherweise gar nicht verwirklichen werden, sondern sich den Verzicht auf die Errichtung der Anlage von der Konkurrenz abkaufen lassen könnten.

Das Müllverbrennungsprojekt der A.S.A. weist nämlich grundlegende Schwächen auf, denen im Verfahren nicht Rechnungen getragen wurde. Sie sind nun übrigens Gegenstand einer Anfechtung des Bescheides beim Verwaltungsgerichtshof.

Da ist zunächst der Standort im Grenzgebiet, in einer Region, in der selbst auch nicht annähernd ausreichend viel Müll anfällt, handelt es sich doch beim Weinviertel um eine Region mit ganz niedrigem Abfallaufkommen und viel Landwirtschaft. Dass an einem solchen Standort überhaupt eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, muss als schweres Versäumnis des Landes Niederösterreich angesehen werden, klare Richtlinien für geeignete Standorte der Müllentsorgung festzulegen. Mangels klarer Vorgaben auf diesem Gebiet laufen derzeit drei weitere Verfahren. Würden sie alle positiv abgeschlossen, gäbe es einen mörderischen Wettbewerb um Abfälle in Niederösterreich und starken Druck, mehr Müll zu erzeugen, statt ihn zu vermeiden. Denn allein die Anlage in Dürnrohr wäre kapazitätsmäßig imstande, die Bedürfnisse des Bundeslandes abdecken.

Ein weiterer schwerer Mangel: Die anfallende Wärme kann im Raum Zisterdorf kaum genützt werden. 80 Prozent würden in der Luft verpuffen, genug, um 10.000 Einfamilienhäuser mit Wärme zu versorgen.

Einen wichtigen Erfolg des neuen Gesetzes heben die Bürgerinitiativen abschließend hervor: Allein schon ihre Beteiligung am Verfahren sorge dafür, dass die Planung von Anfang an verstärkt auf Umweltbelange Rücksicht nimmt. Auch würden im Zuge des weiteren Verfahrens Auflagen eher verschärft, als abgemildert.

Andererseits wird deutlich, wie zeitaufwendig Umweltverträglichkeitsprüfungen sind. Sechs Jahre Verfahren, das steht im krassen Gegensatz zur Rasanz, mit der heute im Wirtschaftsleben agiert wird. Da wäre wohl einiges an Effizienzsteigerung drinnen. Allerdings macht es aber auch bewusst, dass komplexe Probleme nicht handstreichartig gelöst werden können.

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