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Haruki Murakami hat ein sicheres Gespür für Geschichten und für die Sehnsucht der Leser nach Sinn und Bedeutung. Das zeigt auch sein jüngster Roman.

Wer denkt, dass Haruki Murakami recht ordentliche Unterhaltungsliteratur schreibt, aber für außerordentliche Ansprüche nicht in Frage kommt, wird aus seinem jüngsten Roman jene Indizien ziehen, die ihm recht geben. Als Kandidat für den Nobelpreis wird er auf einen Rang gehoben, der ihm nach Sichtung seines Werks nicht zusteht.

Murakami ist der Mann für das große Publikum, das gern an Schicksalen teilhat, die mit dem eigenen Leben nichts zu schaffen haben und die deshalb einigermaßen exotisch wirken. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Er bringt Leute zum Lesen, und dieser Wert darf nicht kleingeredet werden. Nur belässt es Murakami nie dabei. Er möbelt seine Romane auf, pumpt sie mit Sinn voll, unter dessen Last sie bedenklich ächzen. Damit macht sich der Autor interessanter und tiefgründiger, als er als Autor tatsächlich ist, und seine Romane ernsthafter, als ihnen nach ihrer Denkart und formalen Gestaltung zusteht. Dabei fällt Murakami durch sein sicheres Gespür für starke Geschichten durchaus angenehm auf. Aber nein, er besteht auf einer spirituellen Dimension seiner Literatur, wie wir jetzt wieder betroffen nachlesen müssen. Und schon nimmt der Roman eine Wendung ins unfreiwillig Verkrampfte.

Mächtiger kultureller Hintergrund

Dass es um etwas Bedeutendes geht, erfahren wir schon auf der ersten Seite: "Ohne die Existenz dieser Welt wäre das, was jetzt als Realität erschien, keine Realität mehr.“ Wird hier eine Binsenweisheit zur Philosophie erklärt? Und wenn ein paar Sätze später auch noch "dieser Mann in der Bibel, der von einem Wal verschlungen worden war“, aufgerufen wird, sind wir auf Schiene gebracht. Was immer in der Folge erzählt wird, es darf nur auf dem Hintergrund eines mächtigen kulturellen Erbes, dem wir bei Murakami sowieso auf Schritt und Tritt begegnen, verstanden werden. Dann lesen wir, dass "der schwarze Schlund der Verzweiflung“ seine Opfer fordert, und stellen ernüchtert fest, dass die Denkbemühungen des Verfassers mit den Vorgaben nicht mithalten können.

Tsukuru Tazaki wird uns als einer vorgestellt, aus dessen Leben jeder Antrieb, jede Neugier, jede Intensität verschwunden sind. Schuld daran ist eine Begebenheit seiner Jugendjahre. Drei Burschen und zwei Mädchen fanden sich zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen und teilten lange Zeit alle ihre Erfahrungen. Warum von einem Tag auf den anderen Tsukuru verstoßen wird, bleibt ihm rätselhaft. Von diesem Schlag erholt er sich nicht. Er wird zum Massemenschen in Tokio, unauffällig, angepasst, bedürfnislos, bis ihn eine Frau, die seine Sinne doch noch in Alarm versetzt, auffordert, sich der Vergangenheit zu stellen. Und so sucht der Unglückliche nach sechzehn Jahren Aufschluss über das Verdrängte.

Eigentlich müsste Tsukuru als einer, der Bahnhöfe plant, der Strahlkraft der Vernunft trauen. Macht er aber nicht. Der Roman ist durchflutet von Vorahnungen, Intuitionen, irrationalen Ereignissen, schicksalhaften Begebenheiten, Zufällen und bösen Geistern, die von Menschen Besitz ergreifen. Eine Souveränität des Lebens ist so nicht zu bekommen. Da mag sich einer noch so abmühen, es wird über ihn verfügt von außen, Einfluss darüber gewinnt er nicht. Darin mag eines der Erfolgsgeheimnisse von Haruki Murakami begründet sein, dass seine Bücher Fluchtbewegungen aus einer durchrationalisierten Gegenwart darstellen. Da draußen, in den Tiefen der Natur, da drinnen, in den Höhlen der Seele, wirken Kräfte, die zu ergründen der Verstand nicht in der Lage ist. Und Murakami ist deren Prophet.

Dafür nimmt er in Kauf, sich in einen Wirbel zu schreiben, aus dem er nicht mehr herauskommt. Es klingt vernünftig, seine eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, um seine Traumata ins Bewusstsein zu holen. Aber es kommt doch nur Küchenpsychologie heraus: "Wahrscheinlich hatten durch sexuelle Enthaltsamkeit entstandene Spannungen dabei keine geringe Rolle gespielt.“ Wahrscheinlich, vielleicht, eventuell lauten die Hilfswörter der Kapitulation, die gar nicht interessiert daran ist, Licht ins Dunkel zu bringen, weil es sich im wohligen Schauer der Unaufgeklärtheit recht angenehm leben lässt.

Geschichte des Verrats

Im Kern des Wesens des so leidenschaftslosen Zeitgenossen arbeitet eine Geschichte des Verrats. Tsukuru wird wider besseres Wissen bezichtigt, eines der beiden Mädchen aus der Clique vergewaltigt zu haben, und wird geächtet. Arg schlingert Murakami durch die Geschichte, um den Verrat einigermaßen glaubhaft erscheinen zu lassen. Das gelingt überhaupt nicht. Er bringt sogar Tsukuru dazu, sich in Täterszenen einzufühlen, sich selbst zu belasten. Auch dafür gibt es eine philosophische Erklärung, nämlich die Relativität der Realität: "Er konnte allmählich nicht mehr beurteilen, was Realität war und was nicht. In einer Realität hatte er Shiro nicht angerührt. Aber in einer anderen hatte er sie feige missbraucht.“

Und wenn gar nichts mehr geht, kommen Weisheiten, wie sie der kleine Prinz nicht rührender formulieren könnte. Als Tsukuru klagt, dass er ein leeres Gefäß sei, bekommt er unverzüglich Mut zugesprochen: "Es genügt doch, ein Gefäß mit einer wunderschönen Form zu sein. Das so unwiderstehlich ist, dass man unwillkürlich Lust bekommt, etwas hineinzutun.“ Das sagt eine Töpferin. Aber die ist Partei in Sachen Gefäße.

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Von Haruki Murakami Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe DuMont 2014.

316 Seiten, gebunden, e 17,50

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