Museum der Luxusklasse

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Mozarts "Le nozze di Figaro" - das wohl letzte Museumsstück der Wiener Festwochen.

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Mozarts "Le nozze di Figaro" - das wohl letzte Museumsstück der Wiener Festwochen.

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Es muss sie einfach geben, die musealen Opernaufführungen, die von den einen als "verstaubt" abqualifiziert, von den anderen als allein seligmachend angehimmelt werden. Wie sonst könnte man heute noch eine Ahnung davon bekommen, was Oper einmal war, wie sie zur Zeit ihrer ursprünglichen Blüte annähernd ausgesehen hat? Im Theater an der Wien zeigen die Wiener Festwochen eine ebensolche Produktion von Wolfgang Amadeus Mozarts "Le nozze di Figaro". Regie führte Michael Heltau in Nachempfindung einer 20 Jahre alten Inszenierung von Giorgio Strehler: Rokoko-Kostüme, gepuderte Perücken und das Gestenrepertoire der Vergangenheit feiern ihre Wiederauferstehung. Nur das zugige Schloss sieht aus, als wäre es im Österreich der Nachkriegszeit renoviert worden.

Die "Hochzeit des Figaro" erweist sich dabei als turbulente Verwechslungskomödie mit sozialkritischem Impetus. Die Aufführung lässt erahnen, wie geradezu revolutionär 1786 die Demütigung eines Adeligen auf offener Bühne gewirkt haben muss. Wie Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte mit der gräflichen Doppelmoral - selbst ein Schürzenjäger ersten Ranges, wacht er eifersüchtig über seine Frau - ins Gericht ziehen, ist unglaublich modern. Ein guter Grund, um sich Modernisierungen zu versagen.

Dieser Festwochen-"Figaro" mag ein Museumsstück sein - aber es ist eines der Luxusklasse. Wenn Maestro Riccardo Muti das Orchester der Wiener Staatsoper - das heißt: die Wiener Philharmoniker - dirigiert, dann ist das Mozart in Reinkultur, wie er besser nicht erklingen könnte: feinste Abstufungen des Ausdrucks, facetten- und kontrastreich - ein echter Hörgenuss!

Doppelter Abschied Die Besetzung ist bis in die kleinen Partien (Francesca Pedaci als Marcellina, Maurizio Muraro als Bartolo) exzellent: Carlos Alvarez ist ein stimmlich wuchtiger, sympathischer Figaro, der voller Esprit und Lebensfreude seinen verrückten Hochzeitstag meis-tert. Die quirlige Tatiana Lisnic als des Barbiers Braut Susanna hat es nicht nur faustdick hinter den Ohren, sondern auch in den Stimmbändern. Die Verletzlichkeit und das tiefe Empfinden, das Melanie Diener als Gräfin mit unglaublicher Differenzierungsfähigkeit zu Gehör bringt, suchen ihresgleichen. Simon Keenlyside lässt seinen noblen Grafen pendeln zwischen adeligem Hochmut und zutiefst menschlicher Reue. Und eine jugendliche Angelika Kirchschlager als liebstrunkener Cherubino bewegt mit dem Hit "Voi che sapete".

Einziger Wermutstropfen ist das scheußliche Bühnenbild (Ezio Frigero), das dilettantisch Tiefe vortäuscht - eine Illusion, die schnell gebrochen wird und sich damit der Lächerlichkeit preisgibt.

Mit dieser Aufführung geht der Mozart/da Ponte-Zyklus der Wiener Staatsoper zu Ende. Ein doppelter Abschied: Von traditionellem, wenn man will, altmodischem Musiktheater bei den Wiener Festwochen; und vom Theater an der Wien als Spielstätte für Mozart-Opern (nur noch nächstes Jahr wird der Zyklus dort gegeben werden). Man kommt nicht umhin, in den Chor der Lamentierer einzustimmen: Das Theater an der Wien, den wohl idealen Mozart-Spiel-ort, als Musical-Bühne zu missbrauchen, grenzt an ein Verbrechen.

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