"Museum einer ausgestorbenen Rasse"

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In der schauderhaften Entstehungsgeschichte des Jüdischen Museums in Prag liefen die ansonsten diametralen Interessen von Nazis und Juden zusammen.

Bis zu 16 Stunden täglich arbeiteten jüdische Wissenschaftler in Prag unter Aufsicht der SS, um die Hinterlassenschaft der deportierten und vernichteten jüdischen Gemeinden des Protektorats Böhmen und Mähren systematisch zu erfassen. Am 3. August 1942 wurde mit der Katalogisierung begonnen, die Menge an Gegenständen wuchs schnell. Zuletzt umfasste das Museum über 200.000 Objekte, der sogenannte deutsche Katalog enthält 100.000 Einträge.

Das jüdische Museum in Prag ist heute einer der wichtigsten Anziehungspunkte für Touristen. Doch die Besucher erfahren kaum etwas über seine schauerhafte Entstehungsgeschichte. Lediglich in der spanischen Synagoge finden sich ein paar Fotos und ein kurzer Text. Doch rund 65 Prozent der heutigen Sammlung stammen aus dem Bestand während der Nazi-Zeit beschlagnahmter Objekte. Museumsdirektor Leo Pavlat ist erstaunt über die Frage, weshalb nicht mehr auf die spezielle Vergangenheit seines Museums eingegangen werde. Indirekt zeugten alle Objekte davon, meint er, und jeder, der es wissen wolle, könne sich über die Geschichte informieren.

Die Entstehungsgeschichte des jüdischen Zentralmuseums war seit jeher dazu angetan, Mythen zu nähren und die Phantasie von Schriftstellern anzuregen. Einer der bekanntesten Texte zum jüdischen Zentralmuseum ist der Essay von Egon Erwin Kisch "Mörder bauten den zu Ermordenden ein Denkmal": "Der Plan war der," schrieb Kisch: "ein Millionenvolk auszurotten und in einem von den Mördern zu schaffenden Museum darzutun, welch ein fanatischer und gefährlicher Feind des Tausendjährigen Reiches die Ermordeten, nämlich die Juden, gewesen seien." Der Name "Museum einer ausgestorbenen Rasse" hat sich bis heute hartnäckig gehalten. Belegt ist er nicht. Es gebe von deutscher Seite keinerlei Dokumente, die über die Absichten der Nationalsozialisten Auskunft geben könnten, sagt der deutsche Historiker Dirk Rupnow: "Die Quellen zeigen nur, dass die Gründung des jüdischen Zentralmuseums eine Initiative vor Ort war, nämlich der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Zusammenarbeit mit der jüdischen Kultusgemeinde in Prag." Die jüdische Zentralstelle war eine Zweigstelle des Eichmann-Amtes, das für die Vertreibung und später für die Deportationen zuständig war. Das Sagen hatten die beiden SS-Männer Hans Günther und Karl Rahm.

Alles beschlagnahmt

Am 15. März 1939 wird ein Teil der Tschechoslowakei als "Protektorat Böhmen und Mähren" dem Deutschen Reich angegliedert. Im September 1941 erhalten die Juden den gelben Stern. Einen Monat später beginnen die Deportationen in den Osten. Bald sollten die jüdische Gemeinden im Protektorat menschenleer sein. Im Herbst 1941 werden die Prager Synagogen geschlossen und in Lager für beschlagnahmten jüdischen Besitz umgewandelt. So sei in der Kultusgemeinde die Idee entstanden, auch die Kultgegenstände aus dem Protektorat in die Synagogen zu bringen, erzählt Direktor Leo Pavlat.

Die Geschichte vom "Museum einer ausgestorbenen Rasse" sei gewiss berührend, meint er, viel berührender sei jedoch die andere, wahre Geschichte: "Wir wissen, dass das jüdische Zentralmuseum auf Initiative örtlicher Juden, namentlich auf Initiative von Karel Stein, dem Leiter der Abteilung für die jüdischen Provinzgemeinden, gegründet wurde, um alle konfiszierten Gegenstände für künftige Generationen zu retten!" Eine Reihe von Leuten erzählten die Geschichte andersrum, meint Historiker Rupnow. Die Gründung könne nur eine deutsche Idee gewesen sein, wäre es doch im besetzten Prag unmöglich gewesen, dass Juden so einen Vorschlag machten. Das, so Rupnow, sei aber gar nicht die wesentliche Frage. Der Punkt sei vielmehr der, dass in diesem Museumsprojekt die ansonsten diametral entgegengesetzten Interessen von Nationalsozialisten und Juden zusammenliefen.

Innerhalb weniger Wochen nach seiner Errichtung sei das Museum zum Bersten voll gewesen, erzählt der tschechische Historiker und Kurator am heutigen Museum, Arno Parik. Tausende Thorarollen, -vorhänge, Gegenstände aus Edelmetall, Schriften, Bücher und vieles mehr stapelte sich in den Lagern und Synagogen der Stadt. Die Erlaubnis der Nazis zur musealen Aufbewahrung erlaubten, könnte durchaus aus materiellem Kalkül entstanden sein, meint er und erwähnt, dass die Deutschen während des Krieges auch Werke "entarteter Kunst" auf Auktionen in der Schweiz verkauften.

Nicht ausschließen will Parik auch den Aspekt, dass die Sammlung für antisemitische Propagandazwecke verwendet werden sollte. Also ähnlich wie die Propagandaausstellung "Entartete Kunst", die 1937 in München gezeigt wurde oder die Wanderausstellung "Der Ewige Jude", mit der antisemitische Stimmung geschürt wurde. Das Zentralmuseum sei während des Krieges gar nicht für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen, gibt Historiker Dirk Rupnow zu bedenken.

So unvorstellbar der Gedanke auch ist: das Museum hätte als nachträgliche Legitimation und Bewahrung des Feindes über die Endlösung hinaus dienen können, meint er. Die eigentliche Herausforderung im Denken sei folgende Überlegung, so Rupnow: "Wäre die Geschichte anders ausgegangen, so hätte das Museum heute genauso in Prag existieren können - mit den selben Exponaten."

Widerstandsaktion

Vor der Ermordung durch die Nazis waren auch die Wissenschaftler am jüdischen Zentralmuseum, die fieberhaft archivierten und katalogisierten, nicht geschützt. Einer nach dem anderen wurde deportiert; so manch einer katalogisierte zuvor noch seinen eigenen Besitz. Überlebt hat nur Hana Volavkova, die spätere Museumsdirektorin, und mit ihr ihre Erinnerungen. Volavkova war mit einem Nicht-Juden verheiratet und daher zunächst vor der Deportation geschützt. Knapp vor Kriegsende wurde sie mit dem letzten Transport nach Theresienstadt gebracht. Sie schildert die Museumsgründung als jüdische Widerstandsaktion, die mit den dunklen Absichten der Nazis zufällig zusammenzupassen schien. Niemand, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Prag besuchte, habe verstehen können, wie es möglich war, mitten im Krieg unter Aufsicht der SS eine derart große Sammlung jüdischer Objekte anzulegen.

Fast fühlte man sich versucht, so Volavkova, die Schaffung des Museums als Errungenschaft der SS zu betrachten - ähnlich wie ihr Verdienst an der Gründung der Konzentrationslager: "Die mit Schuhen vollgestopften Lager in Auschwitz und Maidanek sind die Ergebnisse derselben Politik wie die, die das jüdische Zentralmuseum in Prag hervorbrachte. Es sind Zeugen des Verbrechens."

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