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Voll regionalisiert und voll globalisiert, von jedem Computer zugänglich: Das virtuelle Museum ist dem realen überlegen. Dem bleibt das Sammeln, Erhalten und Bearbeiten. Und die (angebliche) Authentizität des Originals.

Die prächtigen Warenhäuser, die um 1900 in allen Weltstädten von Paris bis Wien errichtet wurden, sind als die Museen des kleinen Mannes bezeichnet worden. Heute ist das World Wide Web das Museum der jungen Leute. Was damals der Glanz und die Illusion einer eleganten, nahezu unerschöpflichen Warenwelt war, ist heute die Informationsfülle und Traumwelt des Internet, die Vorführung einer nahezu unerschöpflichen und beliebig anordbaren und abrufbaren Informationswelt.

Museum im Kopf

Wer hätte sich nicht schon einmal sein fiktives Museum im Kopf zusammengestellt: mit allen Highlights, die die Kultur- und Kunstgeschichte zu bieten hat, und ohne dass man sich aus dem Haus begeben muss, um nach einer langen Warterei an der Kasse und einem anstrengenden Fußmarsch durch nicht enden wollende Korridore und Hallen zuletzt vor lauter Rücken- und Beinschmerzen nichts sehnlicher zu wünschen, als endlich ans Ende zu kommen. Virtuelle Museen haben den realen entscheidende Vorteile voraus. Sie brauchen kein großes Haus und sie können von überall aus und zu jeder beliebigen Zeit besichtigt werden. Das virtuelle Museum ist nirgends und überall. Es ist voll regionalisiert und voll globalisiert. Das virtuelle Museum kann flexibel und rasch auf neue Ideen reagieren und immer wieder neue Inhalte anbieten. Man kann sich darin blitzschnell bewegen, von einem Thema zum anderen hüpfen, kann elektronische Suchmaschinen einsetzen und es für die eigenen Interessen beliebig ummodeln.

Es ist über den Bildschirm jedes beliebigen Computers begehbar, von unterwegs und von zu Hause, vom Schreibtischsessel, von der Schulbank und vom Wohnzimmer aus, per Touch-Screen oder Mouse-Click. Ein virtuelles Museum braucht keinen repräsentativen Standort in einem noblen Palais an der Ringstraße oder in einem futuristischen Gebäude mitten im Hochhausdschungel.

Man macht sich seine virtuelle, ganz eigene Ausstellung und Sammlung, ordnet sie an, verknüpft sie, variiert sie. Ein virtueller Raum erlaubt nicht nur kühne Konstruktionen, utopische Rekonstruktionen und beliebige gedankliche Kombinationen. Wenn die herkömmlichen Museen die angebliche Authentizität des Originals verlassen, wozu sie aus vielerlei Gründen immer häufiger gezwungen sind, so fällt auch dieser vorgebliche Vorteil des realen Museums weg. Wenn die Albertina den Sommer über zugegebener Maßen vom Original kaum mehr unterscheidbare Faksimile ihrer berühmtesten Objekte ausstellt, so kann dies ein virtuelles Museum viel besser: Man kann die Exponate studieren, wann immer man will, ungestört von drängelnden Nachbarn, kann mit der Lupe vergrößern und Details heraussuchen, ja man kann mit den Bildern zu spielen beginnen, sie manipulieren, verändern, neu gruppieren, sich völlig neue museale Welten schaffen, sie mit den Beständen anderer Museen vergleichen und flugs sich seine eigene höchst individuelle Ausstellung zusammenstellen, mit Werken, die auch der gefinkeltste Kurator und umtriebigste Ausstellungsmacher aus vielerlei Gründen nie an einem Ort vereinigen könnte. Sicherlich, die Kultur wird nicht auf die Authentizität und Aura des Originals verzichten können. Aber was ist in der Welt der Klone und Vervielfältigungen das Original und wo liegt sein Stellenwert?

Keine virtuelle Traumwelt wird dem Museum die reale Funktion des Sammelns, Erhaltens und Bearbeitens abnehmen können. Bei der Dokumentation und wissenschaftlichen Bearbeitung der Bestände gibt es aber inzwischen kaum mehr Diskussion, dass sie über kurz oder lang mehr oder weniger ganz in den virtuellen Raum der Datenbanken und vernetzten Systeme überwechseln wird. Und in der Präsentation der Objekte und der Vermittlung der Inhalte - immerhin neben dem Bewahren die wichtigste Aufgabe der Museen, die auch immer im Vordergrund stehen muss - können damit völlig neue Wege beschritten werden.

Alle Hihglights verfügbar

Ein virtuelles Museum bietet wie ein wirkliches Museum eine Schausammlung, die übersichtlich und rasch durchwandert werden kann. Der Vorteil: Diese Schausammlung kann unendlich wertvoll sein und kostet doch nicht viel. Sie versammelt alle Highlights der kulturellen Geschichte und politischen Identität, die real nicht nur nicht finanzierbar, sondern überhaupt nicht zu bekommen wären. Und die Depots dieses Museums sind nahezu beliebig groß und zugänglich. Und die Führungen, die angeboten werden, können für alle maßgeschneidert werden: in beliebigen Sprachen, für Kinder und Erwachsene, für Kunstinteressierte und für die Wirtschaft, für Touristen und Schüler, für Erlebnishungrige und besonders Eilige: wie ein Museum im Kopf.

Der Autor ist Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Linz und Präsident des Bundes oberösterreichischer Museen.

Das Lentos Kunstmuseum Linz, "ein markanter, klar gegliederter, auf seinen Nutzungszweck hin wirklich überprüfter Bau" (Lentos-Direktor Peter Baum), wurde von den Züricher Architekten Weber & Hofer gebaut. Es verfügt über bedeutende Gemälde der klassischen Moderne und hat seit seiner Eröffnung am 18. Mai 2003 über 80.000 Besucher verzeichnet. Am 11. Dezember wird die Ausstellung "Paris 1945-1965. Metropole der Kunst. Malerei. Plastik, Graphik, Photographie" eröffnet. Lesen Sie dazu ein Furche-Spezial in der kommenden Ausgabe. CH

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