Musik als lästige Nebensache

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Mozarts "Entführung" als erste Opernpremiere der Salzburger Festspiele: ein missglücktes Regieexperiment.

Zwei zum Preis von einem! Obwohl das Publikum der ersten Musiktheaterpremiere der Salzburger Festspiele derartige Diskontangebote nicht nötig hat, gingen letzten Sonntag zwei Darbietungen parallel über die Bühne des Kleinen Festspielhauses: Akustisch die bekannte Oper "Die Entführung aus dem Serail" von Mozart, in welcher der Edelmann Belmonte seine Geliebte Konstanze aus den Fängen des Bassa Selim befreit; szenisch hingegen eine von Regisseur Stefan Hartheim dem Singspiel gewaltsam aufgepropfte Abrechnung mit der Institution der bürgerlichen Ehe. Das Ergebnis: eine ziemlich verwirrende und obendrein äußerst zähe Sache, der das Publikum einen blamabel kurzen Beifall zuteil werden ließ.

Der Bassa Selim ist für Herheim nur eine Projektion, eine Art kollektives Über-Ich, daher wurde diese zentrale Figur eliminiert, sein Text auf die übrigen Protagonisten aufgeteilt. Die logische Folge des Willküraktes: heillose Verwirrung. Nachdem anfangs scheinbar ein Dutzend Belmontes und Konstanzes die Bühne bevölkern, wird deutlich, dass Herheim das zweite Paar Pedrillo-Blonde in den Mittelpunkt rückt. Die sind ein kurz vor der Hochzeit stehendes Paar, das in einer Art Schreckensvision die dräuende Ehehölle durchlebt: Die Frau wird an den Herd und das Bügelbrett gedrängt, von ihrem Mann verprügelt und schließlich vergewaltigt. Belmonte und Konstanze scheinen nur so etwas wie die inneren Stimmen oder projizierte Idealvorstellungen von Pedrillo und Blonde zu sein, Osmin, der am Ende als Priester die Trauung vollzieht, das personifizierte Gewaltprinzip.

Die zum Teil nur schwer lösbaren Denksportaufgaben, welche die Inszenierung aufgibt, ziehen die Aufführung in die Länge. Warum zum Beispiel die zumeist gestrichene Figur des Schiffers Klaas als Namensgeber einer Altbausanierungsfirma ins Spiel kommt, bleibt ein Rätsel. Warum die in dieser Szene wieder in vielfacher Ausfertigung auftretenden Paare beim Renovieren ihres Eigenheims zu lallenden Teletubbies mutieren, ebenso. Herheim jedenfalls hat offenbar alles, was ihm so eingefallen ist, untergebracht - unabhängig davon, ob es passt oder nicht. Warum sonst entfliehen Konstanze und Belmonte auf einem fliegenden Teppich, wo doch alles Orientalische aus der Oper verbannt wurde? Immerhin ist der Flug ganz schön anzuschauen, es handelt sich um eines der zahlreichen projizierten Bilder, die sich positiv vom Rest der szenischen Darbietung abheben und das ausgefeilte Bühnenbild von Gottfried Pilz - eine leere, kaleidoskopartig zersplitternde Altbauwohnung - gefällig ergänzen.

Die Zähigkeit des experimentellen Theaterstückes hat auch auf die zeit- und ortsgleich laufende Oper abgefärbt. Darin steht Dirigent Ivor Bolton vor allem zu Beginn auf der Bremse, vermag dem Mozarteum Orchester Salzburg mit dessen undisziplinierten Flöten über lange Strecken keine feinen Zwischentöne zu entlocken und deckt insbesondere Iride Martinez brutal zu, die als Konstanze zwar von "Martern aller Arten" singt, sich aber in bloßem Schöngesang ergeht, der nicht einmal makellos klingt - zumindest auf jenen Plätzen, an denen die akustischen Unzulänglichkeiten des Kleinen Festspielhauses besonders zur Geltung kommen. Die koloratursichere Diana Damrau hingegen entzückt stimmlich als Blonde, ebenso hinterlässt Peter Rose als Osmin mit seinem äußerst beweglichen Bass einen bleibenden Eindruck. Tadellos Dietmar Kerschbaum als Pedrillo und Jonas Kaufmann mit seinem auffällig dunklen Timbre als Belmonte. Es bleibt jedoch der Eindruck, dass Musik und Gesang bei dieser "Entführung" zur lästigen Nebensache degradiert wurden.

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