Musik ersetzt Schlote

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Die deutsche Stadt Chemnitz setzt auf Kultur, unter anderem durch ein jährliches Mozartfest.

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Die deutsche Stadt Chemnitz setzt auf Kultur, unter anderem durch ein jährliches Mozartfest.

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Daß sich Chemnitz zur Mozart-Stadt erklärt, obwohl der Komponist so wenig je hier war, wie Karl Marx, nach dem die Stadt ja etliche Jahre umbenannt war - das mag nach Schildbürgerei klingen.

Aber wenn nun schon zum achten Mal das "Sächsische Mozartfest" hier ausgerichtet wurde, wenn das Präsidium der Deutschen Mozart-Gesellschaft jetzt beschloß, das jährliche "Deutsche Mozartfest" in Chemnitz zu veranstalten (wie übrigens schon einmal, 1993), dann muß das Gründe haben. Zum Beispiel sind die Chemnitzer Meister in der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe. Mögen sie intern streiten: wenn's um das Ansehen der Stadt geht, halten sie zusammen.

Das spürte man an dem Abend, als in der Schloßkirche Mozarts "Requiem" und vorher die "Maurerische Trauermusik" aufgeführt wurde. Da war auch die Freimaurer-Loge "Harmonie" anwesend, mit vielen auswärtigen Gästen, die gemeinsam der Gründung der ersten Chemnitzer Loge vor 200 Jahren gedachten. Und der langen Zeit, da die Freimaurer von Hitler verboten, von den Kommunisten nicht wieder zugelassen worden waren. Mehr noch: im Logen-Haus wurde das Deutsche Freimaurer-Museum etabliert, das dem deutschen Volk die Untaten der Dunkelmänner vor Augen führen sollte. Leider haben sich manche Erinnerungen daran als Vorurteile in den Gemütern festgesetzt. Aber mit tatkräftiger Hilfe aus dem Westen konnte sich die Loge nun in einem bescheideneren, aber wohnlichen Heim präsentieren.

Eine Ausstellung im Museum für Stadtgeschichte gibt eine sachliche Einführung in Vergangenheit und Brauchtum. Die Städtische Kunstsammlung ergänzt mit einer Schau über den Freimaurer Lovis Corinth. Im Mittelpunkt ein Porträt des Logenmeisters Müller mit dem Hammer. Von Mozart angefangen also schon eine Menge namhafter Brüder, zu denen auch die Industriellen- und Gelehrten-Prominenz des 19. Jahrhunderts der Stadt zu rechnen ist, die das Museum vorstellt. In Chemnitz mögen heute manche Schlote nicht mehr qualmen, manche Fabriken zerfallen sein: es regt sich neues Leben, gerade in den Künsten.

Vielleicht lebt das Mozart-Fest auch davon, daß es sich nicht nur auf Mozart beschränkt und vor allem nicht mit größeren Festivals konkurrieren will. Wer mit kargen Mitteln auskommen muß, kann Rezepte entwickeln, die andere bald nachkochen wollen. In Chemnitz hat man notgedrungen auf teure Engagements verzichtet und dafür Programme ersonnen. Die Programmheftchen in Postkartengröße sind zu einem Päckchen gebündelt und mit einer kleinen Sanduhr zugeknöpft. "Von Zeit zu Zeit" ist das Motto in diesem Jahr. Voriges Mal, als Heiterkeit in der Musik angesagt war, trug das Päckchen eine Narrenschelle. Auf jedem Heftchen ist eine Barockplastik abgebildet: "Die Zeit entführt die Schönheit." Aber Chronos trägt die Schönheit durch die Zeiten - wie mit Musik seit dem 14. Jahrhundert belegt wird. Der große Konzertsaal ist nüchtern und ohne Atmosphäre. So hat man sich in Kirchen, in Festsäle in Museen, sogar in ein Hotel zurückgezogen.

So klein die Programmheftchen sind - es findet sich kleingedruckt immer eine Betrachtung zur Zeit im allgemeinen, zur Entwicklung der Musik im besonderen. Nicht nur Werke, die sich zum Motto aufdrängen: Vivaldis "Jahreszeiten", Haydns Trilogie "Le matin" (schon um sieben in der Kirche!), "Le midi", "Le soir". Auch subtilere Zeitreisen durch die Musikgeschichte. Auch manche Kostbarkeiten, die reisende Stars nicht im Repertoire haben, ambitionierte junge Leute aber gern aufführen.

Da lassen sich musikwissenschaftliche Vorträge ebenso einfügen wie ein Kindermusikfest. Und wenn die Brüder Dietrich und Christoph Modersohn ihre Duette für Saxophon und Orgel aufführen, ist die Kirche sogar zu später Stunde zumindest halb voll. Das ist dann auch schon ein Hinweis aufs Motto 2000: "Grenzüberschreitungen". Auch dann wird man wieder zusammenarbeiten: kleine und große Sponsoren (und sei es nur ein Musiker-Honorar, ein paar Hotel-Übernachtungen, ein kleiner Empfang), auch ehrenamtliche Helfer. Selbst hohe Beamte und Würdenträger sind sich nicht zu schade, mal an der Kasse zu stehen oder Ordnungsdienst zu übernehmen.

Die Oper konnte diesmal nicht zum Programm beitragen. Aber wer wollte, dem stand die Premiere einer beachtlichen Premiere von Rossinis "Barbier von Sevilla" offen.

Die Chemnitzer Oper, an dritter Stelle in Sachsen, führt unerschrocken alle Wagner-Dramen im Repertoire und bringt am 13. Juni eine Uraufführung zum bevorstehenden (2. März 2000) 100. Geburtstag von Kurt Weill, allerdings in internationaler Koproduktion. "Der Weg der Verheißung", nach einem Text von Franz Werfel, ist bisher nur 1937 auf englisch in New York gespielt worden. Nun soll es jeweils mehrere Vorstellungen in Chemnitz, New York, Tel Aviv, bei der "Expo 2000" in Hannover, vielleicht auch in Krakau geben.

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