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"Musik in die Kindergärten!"

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Ein Gespräch mit dem Dirigenten Mariss Jansons über Mahler, Karajan und Musik im Kindergarten.

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Ein Gespräch mit dem Dirigenten Mariss Jansons über Mahler, Karajan und Musik im Kindergarten.

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"Musik muss in den Kindergärten und in den Schulen zu einem Pflichtfach werden, Musik- und Kunstgeschichte. Gelingt das nicht, besteht die Gefahr, dass Kunst und Kultur durch anderes verdrängt werden": Der Dirigent Mariss Jansons über Mahler, seine Orchester, Karajan und die Herausforderungen einer sich verändernden Kulturlandschaft.

Die Furche: Mariss Jansons, Sie eröffnen zum zweiten Mal im Musikverein die Festwochenkonzerte. Beim ersten Mal waren es Schönbergs Gurre-Lieder, jetzt Mahlers Dritte, beides Werke der ausgehenden Spätromantik, ein Zufall?

Mariss Jansons: Ja, aber wenn man ein bedeutendes Festspiel eröffnet, muss man das mit einem großen Werk machen, am besten mit einem Chor-Orchesterwerk. Mahlers Dritte war mein ausdrücklicher Wunsch.

Die Furche: Sie waren im Musikverein, als Ihr Vorgänger in München, Lorin Maazel, mit dieser Mahler-Symphonie zum letzten Mal als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in Wien gastierte. Wie würden Sie ihr Mahler-Bild beschreiben?

Jansons: Mahler ist sehr klar in seinen Wünschen, da er selbst Dirigent war. Natürlich hat jeder Dirigent seine Individualität, das drückt sich in den Interpretationen aus. Wäre das nicht so, wäre es langweilig.

Die Furche: Mit Mahler sind Sie gleichsam aufgewachsen …

Jansons: Mein Lehrer Rabinovitsch war ein großer Mahler-Kenner, er hat uns viel über Mahler erzählt. Kyrill Kondrashin hat viel Mahler dirigiert. In Wien habe ich bisher nicht so viel Mahler dirigiert, aber ich habe längst alle Mahler-Symphonien aufgeführt, die Achte nur einmal in St. Petersburg. In Wien studierte ich mit Professor Swarowsky die Mahler-Partituren, Mahler ist einer meiner Lieblingskomponisten.

Die Furche: Den Großteil Ihrer Zeit widmen Sie Ihren beiden Chefpositionen beim Concertgebouw in Amsterdam und beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München. Worin unterscheiden sich die beiden Orchester?

Jansons: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks geht in Richtung Berliner Philharmonisches Orchester, das Concertgebouw in Richtung Wiener Philharmoniker. Beide haben hohe Intelligenz, sind sehr engagiert, hochmusikalisch, unterscheiden sich aber in Klang und Temperament: Die Münchner sind spontaner, die Amsterdamer klassischer in der Stilistik.

Die Furche: War der Erfolg mit Beethovens Neunter bei den Salzburger Festspielen und im Vatikan ein Grund, dass Sie demnächst mit Ihrem Münchener Orchester einen Beethoven-Zyklus beginnen?

Jansons: Ja, wir werden diesen Zyklus machen, stehen aber vor der Frage, in welchem Saal, der muss akustisch hochwertig sein.

Die Furche: Wenn Sie im Herbst mit Ihrem Münchener Orchester nach Wien kommen, haben Sie neben Beethoven-Symphonien auch ein neues Stück von Jörg Widmann auf dem Programm …

Jansons: Das steht in Verbindung mit diesem zukünftigen Beethoven-Zyklus. Es war meine Idee, wenn schon nicht zu jeder Symphonie, so wenigstens zu jedem der Beethoven-Programme ein Auftragswerk zu vergeben. Jörg Widmann schreibt eines für die siebente und achte Symphonie, Rodion Schtschedrin für die dritte, weitere folgen.

Die Furche: Gibt es Projekte zum Haydn-Jahr 2009?

Jansons: Ich komme nach Wien mit einem reinen Haydn-Programm, einer Ouvertüre, der Harmoniemesse und der Symphonie Nr. 88, davon machen wir eine Fernsehaufnahme in der Kirche von Ottobeuren. Haydn werde ich auch in Amsterdam spielen.

Die Furche: Wie stehen Sie zu den zahlreichen Feierlichkeiten und Editionen zu Karajans 100. Geburtstag? Hätte man mit dem Geld nicht genauso gut junge Musiker und Projekte fördern können?

Jansons: Diese Dokumente sind wichtig, um auch die junge Generation an Karajan zu erinnern, damit sie ihn wenigstens durch CD oder DVD erleben kann, auch wenn die große Zeit dieser Medien vorbei ist. Wir dürfen die bedeutenden Interpreten der Vergangenheit nicht vergessen, daher ist diese Brücke so wichtig. Es ist die einzige Möglichkeit, jungen Menschen die Person und den Künstler Karajan nahezubringen. Wir, die wir ihn erlebt und bei ihm studiert haben, können etwas erzählen, aber davon gibt es nicht mehr viele. Junge Dirigenten zu unterstützen wäre auch wichtig, aber das muss man systematisch betreiben.

Die Furche: Inwiefern hat Sie Karajan geprägt?

Jansons: Ich habe von ihm viel gelernt: die Klangkultur des Orchesters, das weite Repertoire - vor allem Bruckner, Brahms, Richard Strauss -, die Oper. Wenn man zwölf Stunden mit einer so großen Persönlichkeit zusammen ist, nimmt man alles auf, jede Kleinigkeit, wie er denkt, wie er spricht. Karajan waren die großen Linien wichtig. Er sagte immer, Taktstriche zerstören die Musik.

Die Furche: Der Musikmarkt ist in Schwierigkeiten, man spürt, dass das Publikum älter geworden ist, junges kommt weniger nach, die Medien ziehen sich von der aktuellen Berichterstattung zurück. Wie kann man dem entgegenwirken?

Jansons: Man kann eine solche Entwicklung nicht in 24 Stunden ändern, nicht einmal in einem Jahr. Wir müssen weiter Aufführungen auf hohem Niveau geben. Für die künftigen Generationen ist die Politik gefordert: Musik muss in den Kindergärten und in den Schulen zu einem Pflichtfach werden, Musik- und Kunstgeschichte. Gelingt das nicht, besteht die Gefahr, dass Kunst und Kultur durch anderes verdrängt werden. Sterben wird sie nicht, aber wenn man will, dass es so bleibt, muss man zu solchen Maßnahmen greifen. Das ist der Grund, warum ich öffentliche Generalproben, Workshops und Wochenenden mit Jugendorchestern mache, vor allem in München. In Amsterdam weniger, hier ist man in der glücklichen Lage wie in Wien, dass fast immer alles ausverkauft ist. Aber es ist natürlich auch gefährlich, wenn man meint, dass hier alles so bleibt.

Das Gespräch führte Walter Dobner.

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